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H. H. Jescheck und die griechische Strafrechtswissenschaft

Die Bedeutung des Werkes von H. H. Jescheck für die griechische Strafrechtswissenschaft und Strafrechtspflege im Allgemeinen ist ohne Zweifel sehr beachtenswert aber auch multidimensional gewesen. Zum einen haben seine Arbeiten, besonders sein Lehrbuch, das strafrechtliche Denken in Griechenland in großem Umfang geprägt, was eine entsprechende Resonanz auf die Rechtsprechung mit sich getragen hat. Zum anderen aber bestand über mehrere Jahrzehnte, schon aus den sechziger Jahren, eine ständige und enge Verbindung zwischen dem M.P. Institut für Ausländisches und Internationale Strafrecht und Nachwuchsstrafrechtlern aus Griechenland, die die Hilfsbereitschaft und wohlwollende Unterstützung des Instituts in mehrerlei Hinsicht genießen konnten. Viele griechischen Schüler Jeschecks sind heute prominente Vertreter der Strafrechtswissenschaft wie Prof. Courakis mit seiner Dissertation „Zur sozialethischen Begründung der Notwehr“ und Ass. Professor Livos mit seiner Dissertation „Grundlagen der Strafbarkeit wegen Hochverrats“. 

Jescheck ist ein wirklicher Freund Griechenlands gewesen. Er hat unser Land mehrmals besucht und Aufsätze von ihm sind in griechischen Fachzeitschriften mehrmals veröffentlicht worden, darunter seine Arbeiten „Der Hochverrat als Zustandsdelikt“ (Poin. Chron. 1975, 602 ff.), „Die weltanschaulichen Grundlagen des deutschen StGB-Entwurfs im Vergleich zu den Grundlagen des griechischen StGB (Poin. Chron. 1963, 257 ff.), sowie sein Vortrag über die Ausgestaltung des Europäischen Strafrechts, im Jahre 1997, als ihm die Ehrendoktor Würde von der Juristischen Fakultät der Universität Athen verliehen wurde, zur Anerkennung seines Gesamtwerkes und seines Beitrages zur Entwicklung der Strafrechtswissenschaft.

Bemerkenswert ist es auch, dass Jescheck mit der vorsichtigen und ausführlichen Bearbeitung wichtiger strafrechtlichen Fragen besonders in seinem Lehrbuch, in der 5. Aufl. mit Prof. Weigend, zur Bereicherung der griechischen Strafrechtswissenschaft erheblich beigetragen hat. So sind im griechischen Schrifttum viele seiner Ausführungen berücksichtigt, wie der Umfang und Sinn der Pönalisierungspflichten des Gesetzgebers, das Erfordernis sowohl von Handlungs-, als auch von Erfolgsunwert zur Begründung des Unrechts, die Einführung der Einheitsstrafe sowohl für Vergehen als auch für Verbrechen, der Begriff der objektiven Sorgfaltswidrigkeit als notwendige Grundlage der Fahrlässigkeitshaftung sowie die Kausalität als Voraussetzung der Beihilfe, Fragen die nicht nur theoretische, sondern auch und vor allem praktische Bedeutung haben.

Darüber hinaus hat der Beitrag Jeschecks zur Entwicklung des Internationalen Strafrechts gewissermaßen selbstverständlich einen ergiebigen Dialog mit der griechischen Rechtswissenschaft in diesem Bereich hervorgerufen, insbesondere mit der Juristischen Fakultät der Universität Athen, wo das Internationale Strafrecht seit 1987 eigenständig gelesen wird. So wird im Rahmen der griechischen Rechtswissenschaft die Zweistufentheorie vertreten, eine Ansicht zu deren Ausgestaltung auch Jescheck beigetragen hatte (s. für Jescheck: LB, 4. Aufl. 145, Maurach-FS 580, IRuD 56, 75 ff., für Griechenland: Mylonopoulos, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., 52), und deren praktische Auswirkungen erheblich und zahlreich sind, z.B. für die Frage der Inlandsteilnahme an ausländischer Haupttat. So wird das Strafrechtsanwendungsrecht in Griechenland als Recht der inländischen Strafgewalt und dessen Regeln als objektive Bedingungen der Strafbarkeit betrachtet (S. für Jescheck: AT 4. Aufl. 162, IRuD 1956, 93, für Griechenland: Mylonopoulos, a.a.O., 63). Des Weiteren wird auch in Griechenland akzeptiert, dass der Tatort kein natürlicher sondern ein rein juristischer Begriff ist, so dass im Falle von Teilnahme als Tatort des Anstifters oder des Komplizen auch der Ort der Haupttat oder sogar des Erfolgseintritts zu betrachten ist (für Jescheck: AT 4. Aufl. 161, für Griechenland: Mylonopoulos, a.a.O., 189-190). Bemerkenswert ist auch dass Jescheck sich mit der Frage des Rechtsmissbrauchs als Regulativ der strafrechtssetzenden Kompetenz eines Staates befasst hat, indem er betont hatte, dass das Missbrauchsverbot die äußerste Grenze der Strafgewalt bilde, was auch in Griechenland vertreten wird und heute an Bedeutung gewinnt (S. für Jescheck: AT 4. Aufl. 146, IRuD 1956, 75, Maurach-FS 581, für Griechenland: Mylonopoulos, a.a.O., 106).

Möchte man eine allgemeine Würdigung des Einflusses von H.H. Jescheck auf das griechische Strafrecht über die dogmatisch-technischen Teilaspekte machen, so könnte man zwei Punkte nennen: Zum einen die Tatsache, dass die von ihm vorgeschlagenen Lösungen immer ausgewogen und gemäßigt sind, was an den aristotelischen Begriff der „messotis“ (der Mittelweges) erinnert. Zum anderen, die Weltoffenheit seines Werkes, der die Bedeutung der Strafrechtsvergleichung hervorgehoben hat, indem er zeigte, dass sie sich nicht in der schlichten Berücksichtigung des ausländisches Rechts erschöpfe, sondern eine eigenständige Funktion haben muss, die sowohl für das Rechtsverständnis als auch für die Strafrechtssetzung aufschlussreich sein können. Beide diese Aspekte haben also über den rein wissenschaftlichen Charakter auch einen echt pädagogischen Wert, der vielleicht wichtiger aber auch langfristiger ist.