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Strafrechtsdogmatik in Europa nach dem Vertrag von Lissabon - Zur materiellen Legitimation des Europäischen Strafrechts



I. Der Vertrag von Lissabon und seine Bedeutung für das europäische Strafrecht
Es wird keine Übertreibung sein zu sagen, dass der Vertrag von Lissabon (EUV) einen wirklichen Durchbruch im Bereich des gesamten Europäischen Strafrechts mit sich gebracht hat. Obwohl nach den ursprünglichen Deklarationen, die der Gründung der Europäischen Gemeinschaften folgten, letztere keine Strafrechtskompetenz hatten, so dass sie grundsätzlich auf das nationale Strafrecht der Mitgliedstaaten zum Schutz der eigenen Interessen angewiesen waren, hat sich mit dem Vertrag von Maastricht (in Kraft seit 1.11.1993) mit der Gründung der „dritten Säule“ und vor allem mit dem Vertrag von Amsterdam (in Kraft seit 1.5.1999) mit der Einführung der sog. Rahmenbeschlüsse eine Prozedur in Gang gesetzt, die die strafrechtssetzende Kompetenz der Europäischen Gemeinschaften allmählig auf imponierende Weise ausdehnte. So wurden die Mitgliedstaaten durch Rahmenbeschlüsse zur Angleichung ihrer nationalen Strafgesetzgebung in mehreren wichtigen Bereichen, wie organisierte Kriminalität, Terrorismus, Geldwäsche, Korruption, trafficking u.s.w. verpflichtet, wobei die Rahmenbeschlüsse auch die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Straftaten auf dem Boden einer heftig umstrittenen Legitimation diktierten.
Der wichtigste Grund zur Zurückhaltung gegen diese Expansion der Strafrechtssetzungskompetenz der damaligen Europäischen Gemeinschaften, -eine Entwicklung die bekanntlich auch von der Rechtsprechung des EuGH unterstützt wurde, war das sog. „demokratische Defizit“, ein Grund zum Unbehagen den der Vertrag von Lissabon durch den Mitwirkungsmechanismus des europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente abzudämpfen versucht .

Es bleibt jedoch nach wie vor, ein anderes Charakteristikum dieser rasanten Rechtsentwicklung bestehen, das die strafrechtsrelevanten Bestimmungen des Vertrags von Lissabon und des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) kennzeichnen:
Die jeweils aus verschiedenen Gründen motivierten Strafrechtsvorschriften der Rahmenbeschlüsse sind inzwischen so zahlreich geworden und beziehen sich auf so wichtigen Bereiche der Kriminalität, dass sie die Gestalt des Strafrechts eines jeden Mitgliedstaates erheblich prägen. Sie verbleiben jedoch, wie ursprünglich, disparat und voneinander losgelöst, so dass sie eher ein „set of rules“ sind, die sogar auf kein Grundkonzept beruhen, sondern einseitig und der jeweiligen Gelegenheit nach, ein einziges Ziel verfolgen: Den Schutz bestimmter Interessen, die die Sicherheit innerhalb der EU gewährleisten. In der Tat: aus der gesamten Bestandsaufnahme der einzelnen Strafrechtsvorschriften der EU ist es evident, dass das einzige Anliegen des Europäischen Gesetzgebers das Erreichen bestimmter Ziele war, was mit der inneren Sicherheit (z.B. Bekämpfung des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität), die Repression besonders anstößiger Straftaten (Kinderpornographie) oder aber den Schutz der EU Finanzinteressen zu tun haben. Mit anderen Worten: Die strafrechtlichen Bestimmungen des EU Rechts, wie sie bisher sich in den Rahmenbeschlüssen, in den gemeinsamen Aktionen oder sogar in den Richtlinien ausprägen, sind weder in einem System organisiert, noch beruhen sie auf einer einheitlichen Straftheorie. Beide diese Fragen, nämlich die Organisierung der Strafvorschriften in ein System und die Wahl einer Straftheorie, worauf sie beruhen könnten, waren (und sind) den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen.
Mit dem Vertrag von Lissabon hat jedoch nunmehr die EU ausdrücklich die Ermächtigung, wenn auch durch Richtlinien, die Tatbestandsmerkmale sowie die Sanktionen von Straftaten in vielen wichtigen Sektoren der Kriminalität festzulegen. Nach dem Vertrag von Lissabon hat also die EU institutionell originäre Strafrechtssetzungskompetenz erworben. Eine Kompetenz nämlich, die, obwohl vor dem Lissabonner Vertrag heftig umstritten war, wegen des demokratischen Defizits, heute, mit dem Art. 83 AEUV i.V.m. den Mitwirkungsmechanismen des Europäischen Parlaments institutionelle Anerkennung erworben hat.
Außer der quasi unmittelbaren Strafrechtssetzung durch Richtlinien, hat die EU auch die Möglichkeit zur ausgesprochen direkten Einführung von Strafrechtsnormen mit Verordnungen in Bezug auf Straftaten die deren finanziellen Interessen betreffen. Obwohl diese Möglichkeit im Schrifttum manchmal heruntergespielt wurde
Es wird z.B. behauptet dass das Erfordernis von Einstimmigkeit zur Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft, ohne die diese Strafkompetenz nicht funktionieren kann (Art. 86 AEUV), ein Äquivalent zur „Notbremse“ darstellt, die diese Möglichkeit faktisch abschwäche (Heger, ZIS 2009, 416).
ist das Wortlaut der einschlägigen Vorschriften unmissverständlich eindeutig: Nach Art. 325 Abs. 4 AEUV „zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten sowie in den Organen, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union beschließen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Anhörung des Rechnungshofs die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Union richten“, wobei als „ordentliches Verfahren“ natürlich auch der Erlass von Verordnungen zu verstehen ist (Art. 289 AEUV) .
Damit ist ein altes Postulat der Kommission erfüllt, das fast von Anfang an Gegenstand einer lebhaften Auseinandersetzung mit der Theorie gewesen war, was schließlich zur Entstehung der PIF-Konvention als Kompromisslösung geführt hatte. Die formale Legitimation dieser Verordnungen hängt nunmehr davon ab, ob das in Art. 294 AEUV vorgesehene Verfahren eine genügend repräsentative Funktion dem Europäischen Parlament beimisst. Die materielle Legitimation, jedoch, hängt nichtsdestoweniger von den oben dargestellten Kriterien ab.
Diese Entwicklung macht deutlich dass die strafrechtlichen Vorschriften des Rechtes der EU nicht mehr, wie bisher, disparat und von einander losgelöst sein dürfen, sondern dass sie in einem System eingebettet werden müssen, um in Einklang zu einander und zu den allgemeinen Prinzipien des Europäischen Rechts und der gemeinsamen europäischen Verfassungsüberlieferungen zu sein. Somit dürfen sie nicht mehr den Interessenschutz einseitig verfolgen, sondern sie müssen auch die doppelte Funktion des Strafrechts berücksichtigen, nämlich auch den Schutz der Grundfreiheiten und zwar auf der Basis eines Systems, das die innersystematische Konsistenz ihrer Strafrechtssätze ermöglicht, die Vorhersehbarkeit deren Konsequenzen gewährleistet, für Rechtssicherheit sorgt, Willkür und Improvisationen bei der Rechtsanwendung ausschließt und schließlich das Vertrauen auf die Geltung der Europäischen Rechtsordnung, d.h. das Systemvertrauen verstärkt. Das ist das Werk der Strafrechtsdogmatik.
Letztere ist aber auch aus einem anderen Grund unerlässlich: Findet nämlich die Ausgestaltung der Strafvorschriften außerhalb eines Systems statt, so ist deren Kohärenz nicht überprüfbar und deren Reduktion auf Prinzipien schwer zu erreichen. Bleibt also diese dogmatische Bearbeitung aus, so bleiben auch die sachlogischen Strukturen der Strafrechtssätze unberücksichtigt und wird ihre systematische Betrachtungsweise unmöglich, da die Rechtsprechung sich nur auf die Auslegung der vereinzelten Norm und zwar nur in Bezug auf den konkreten Fall beschränkt, was ein in Wirklichkeit ein Vorstadium und damit nur ein Teil der dogmatischen Arbeit ist .
II. Zur materiellen Legitimation des Europäischen Strafrechts
Aus der bisherigen Rechtsentwicklung, der Rechtsprechung des BVerVG (Lissabon Urteil) aber auch anderer Höchstgerichte, wie des polnischen des cypriotischen und des tschechischen zum Europäischen Haftbefehl, sowie aus der bisherigen wissenschaftlichen Diskussion , ergeben sich zwei grundsätzliche Spannungsräume im Bereich des Europäischen Strafrechts, nämlich zum einen die formale Legitimation der europäischen Strafrechtssätze, zum anderen aber deren materielle Legitimation. Obwohl die erstere, auch nach dem Lissabonner Vertrag, nach wie vor umstritten ist, besonders nach dem Lissabon Urteil des BVerfG, ist sie mehr oder weniger konkret und die mit ihr verbundenen Fragen bekannt. Man kann also heute sagen, dass der Einwand des demokratischen Defizits heute an Bedeutung mehr oder weniger verloren hat. Im Gegenteil, die materielle Legitimation des Europäischen Strafrechts, ist, auch nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon, noch immer diffus und dringend Erklärungs- und Präzisierungsbedürftig.
Diese materielle Legitimation des europäischen Strafrechts tritt unter zwei Aspekten auf: Zum einen fragt es sich, ob die im Vertrag von Lissabon (aber auch die in Rahmenbeschlüssen) enthaltenen Normen, die mittelbar oder unmittelbar Strafrechtssetzungskompetenz der EU anerkennen, mit den Grundsätzen des Europarechts selbst in Einklang sind oder ob sie sozusagen „vertragswidrige Vertragsnormen“ enthalten. Zum anderen fragt es sich, unter welchen konkreten Voraussetzungen ein Strafrechtsakt der EU, i.d.R. eine Richtlinie die den einzelnen Mitgliedstaaten die Mindestregeln für die Tatbestandsmerkmale und die Sanktion einer Straftat vorschreibt (Art. 83 AEUV), in Einklang mit dem Vertrag von Lissabon sein könnte.
Unter dem Aspekt der materiellen Legitimation des Europäischen Strafrechts ist ferner die Frage nach der zugrundezulegenden Straftheorie wesentlich. Es ist ersichtlich, dass der europäischen Strafgesetzgebung, sowohl in Bezug auf die Rahmenbeschlüsse als auch in Bezug auf den Vertrag von Lissabon, keine Straftheorie zugrunde liegt. Heute, nach dem Vertrag von Lissabon, sind mindestens die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität ausdrücklich erwähnt, bleiben aber trotzdem die europäischen Strafrechtssätze disparat und sie sind keinem System zugewiesen. Deren Einbettung in ein System, m. a. Worten deren Organisierung in einer Theorie ist aber deswegen notwendig, weil sie nur dadurch materielle Überzeugungskraft und daher substantielle Legitimation erlangen können.
Auf die negativen Auswirkungen dieses Mangels an einer Theorie ist mehrfach hingewiesen worden . So ist es z.B. darauf hingewiesen worden, dass eine Strafrechtsnorm einen legitimierten Zweck verfolgen müsse, um selbst legitimiert sein zu können . Zwar ist nunmehr das Erforderlichkeitskriterium mittels des Subsidiaritätsprinzips in die europäische Strafrechtssetzung eingeführt, es bleibt aber nach wie vor ungeklärt. Es ist ferner darauf hingewiesen worden, dass die Kriminalisierung eines Verhaltens eine Rechtsgutsbeeinträchtigung voraussetzt, wem nunmehr, nach dem Inzest-Urteil des BVerfG (BVerfGE 120, 224) Verfassungsrang für die deutsche Rechtsordnung zugesprochen wurde, was auch in Bezug auf das europäische Strafrecht klargestellt werden muss .
Als erstes Zwischenergebnis ist somit daran festzuhalten: Ein Legitimationsbedürfnis der EU Strafrechtssätze hört nicht auf zu bestehen, schlicht weil das Demokratische Defizit formal nicht mehr besteht oder geringere Probleme hervorruft.
III. Rechtsprinzipien und Rechtsregeln im Europäischen Strafrecht
Da die Strafrechtsnormen der EU, deren Entstehung in Art. 83 AEUV vorgesehen wird, Bestandteil der Europäischen Rechtsordnung sind, unterliegen bestimmten Regeln und Einschränkungen, die entweder rechtlicher Natur sind, oder aber sich aus der Natur der Sache ergeben.
Sie unterliegen zunächst einmal den Regeln der Logik, was quasi selbstverständlich aber nichtsdestoweniger wesentlich ist, insbesondere mit Hinblick auf die Fahrlässigkeitsdelikte sowie auf die Pflichtenkollisionsproblematik. Denn eine Norm die Unlogisches und damit Unmögliches verlangt ist nicht verbindlich und daher keine Norm (impossibilium nulla est obligatio).
Damit verbunden ist auch die Problematik der Wertungswidersrüche, die entweder unecht sind, so dass sie mit geeigneter Auslegung erhoben werden können, oder aber echt, die des korrigierenden Eingriffes des Gesetzgebers bedürfen. Die Stimmigkeit der Strafrahmen, z. B., ist dem Gebot der Widerspruchslosigkeit der Strafrechtsnormen unmittelbar unterworfen und muss bei der Festsetzung der Strafrahmen durch den europäischen Gesetzgeber beachtet werden.
Sie unterliegen ferner den Rechtsprinzipien der EU die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, wie das Legalitätsprinzip (nunmehr ausdrücklich in Art. 49 der Grundrechte-Charta vorgesehen), das Rechtsstaatsprinzip, das Gleichheitsprinzip, das Prinzip der Rechtssicherheit (legal certainty), das Prinzip des Schutzes der Grund- und Menschenrechte, das Prinzip der Menschenwürde und auch den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts, was insbesondere in Bezug auf die Geltung des Einmischungs- und des Missbrauchsverbots in Verbindung mit der Problematik um die doppelte Strafbarkeit eines Verhaltens von Bedeutung sind .
So unterliegen sie auch dem Prinzip der Machtverteilung . Eine Strafrechtsnorm darf nicht von dem Organ angewendet werden, von dem sie auch erlassen worden ist. Das ist im Rahmen des Europarechts vor allem deswegen von Bedeutung, weil die Unterscheidung zwischen krimineller und administrativer Sanktion nach wie vor ein ebenso heikles wie aktuelles Problem darstellt, was u.a. auch in der Form der verdeckten Kriminalstrafen erscheint, die unter dem Mantel von administrativen Sanktionen vorgesehen werden.
Nach ausdrücklicher Regelung des EU Vertrags unterliegen sie ferner dem Verhältnismässigkeits- und dem Subsidiaritätsprinzip, die nunmehr gesondert und eigenständig im Art. 5 EUV, im Art. 69 AEUV, im 2. Protokoll Über die Anwendung dieser Grundsätze sowie im Art. 49 Abs. 3 der Grundrechte Charta der EU vorgesehen werden.
Sehr wichtig ist auch, dass sie der EuMRK, unterliegen und infolgedessen den darin enthaltenen Grundsätzen des materiellen und prozessualen Strafrechts, was nunmehr eine einheitliche Auffassung der ihnen zugrundeliegenden Begriffe nach sich heranzieht.
Last, but not least, sie unterliegen –aber nur bis auf einen gewissen Grad- den „wesentlichen Aspekten der Strafrechtsordnung“ der Mitgliedstaaten (Art. 82 und 83 AEUV).
Auf dem Boden dieser Grundsätze soll schließlich auch die „nationale Identität“ der einzelnen Mitgliedstaaten geachtet werden, was ausdrücklich in Art. 4 EUV formuliert wird.
Die oben erwähnten Prinzipien, jedoch, die in den einzelnen Rechtsordnungen über Jahrzehnte erarbeitet worden sind, sind Träger von äußerst reichem Sinne, der ihre Auslegung erheblich beeinflusst. So müssen unter dem Legalitätsprinzip auch weitere Teilprinzipien verstanden werden, nämlich das Rückwirkungsverbot (nunmehr ausdrücklich in Art. 49 Abs. 1 der Grundrechte Charta vorgesehen), das Bestimmtheitsgebot, sowie die Wortlautsschranke (n.c.s.l. stricta), die nicht nur die Analogie zum Lasten des Angeklagten verbietet, sondern auch die teleologische Extension (juristische Rechtsfortbildung) in malam partem ausschließt.
Aus dem Prinzip der Menschenwürde folgt weiter die Unzulässigkeit der Erfolgshaftung bzw. das Schuldprinzip. Aber auch das Prinzip nullum crimen sine actu muss hier einbezogen werden, das die menschliche Handlung zur Voraussetzung der Kriminalstrafe macht und die Zulässigkeit des Gesinnungsstrafrechts ausschließt.
Zu den grundlegenden Aspekten der Strafrechtsordnung der Mitgliedstaaten gehören weiter die traditionellen Rechtsauffassungen, von allem Entscheidungen im Bereich des Allgemeinen Teils, wie Strafbarkeit des Versuchs, Zulässigkeit eines strafbefreienden Rücktritts beim Versuch eines, das Ubiquitätsprinzip zur Bestimmung des Tatortes beim Erfolgsdelikt, die Nichtstrafbarkeit fahrlässiger Verletzungen von Vermögenswerten und Eigentum sowie die Nichtstrafbarkeit fahrlässiger Teilnahme und Teilnahme am Fahrlässigkeitsdelikt . Ferner dürfen das Institut der Mediation und die Zulässigkeit der tätigen Reue als grundlegende kriminalpolitische Entscheidungen (auch) im europäischen Rechtsraum, nicht durch Richtlinien und Verordnungen verwässert werden.
Unser zweites Zwischenergebnis ist also eben dies, dass alle diese Parameter als Auslegungsgrundlagen der gesetzgeberischen Ermächtigung im europäischen Strafrecht funktionieren müssen .
In diesem Zusammenhang stellt auch die Strafbarkeit juristischer Personen ein Problem dar. Diese ist weit anerkannt (BRD und Griechenland sind eher Ausnahmen), so dass deren Straflosigkeit eher nicht als gemeinsame Tradition betrachtet werden könnte .
IV. Das sog. „Prinzip“ der gegenseitigen Anerkennung von gerichtlichen Strafurteilen und sonstigen Entscheidungen
Bisher haben wir von Regeln und Prinzipien gesprochen, die der Europäischen Strafgesetzgebung unterliegen, ohne den Begriff des Rechtsprinzips erläutert zu haben. Damit müssen wir uns jedoch zwangsläufig beschäftigen, und zwar in Zusammenhang mit dem sog. „Prinzip“ der gegenseitigen Anerkennung.
Im Art. 82 Abs. 1 AEUV wird bekanntlich das sog. Prinzip der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen anerkannt (das erst im Europäischen Rat von Tampere (1999) eingeführt worden war), und zwar in einer noch weiteren Form, so dass es nunmehr nicht nur Strafurteile, sondern alle von Justizbehörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Staatsanwaltschaft, ergangenen Rechtsakte umfasst. Die heftige Kritik, die sich gegen dieses Rechtsinstrument erhoben worden ist, ist durch die offizielle Formulierung des Art. 82 nicht abgeklungen und eine Wiederholung würde um nichts Neues die Diskussion bereichern. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass die gegenseitige Anerkennung nicht als Prinzip behandelt werden darf, da sie schlicht und einfach kein Prinzip ist.
In der Tat, folgt man der Analyse von Dworkin, Prinzipien unterscheiden sich nicht nur von Regeln sondern auch von politischen Entscheidungen (policies). Eine politische Entscheidung (eine policy) sei nach Dworkin eine Aussage, die ein erstrebenswertes Ziel setzt, welches die finanziellen, sozialen oder politischen Aspekte der Gemeinschaft fördert. Ein Prinzip dagegen (Dworkin meint wohl: ein Rechtsprinzip) sei ein Imperativ das nicht deswegen befolgt werden müsse, weil es ein wünschenswertes finanzielles, soziales oder politisches Ziel fördert, sondern gerade, weil es von der Gerechtigkeit, Fairness oder irgendwelchen Aspekt der Moral gefordert werde. Auf jeden Fall ist die Anwendung eines Prinzips nach dem Grade der Befriedigung des Wertes bemessen, der ihm zugrunde liegt . Das Verhältnismäßigkeitsprinzip, z.B., ist ein echtes Prinzip. Denn wer es anwendet, der tut dies eben weil es der Idee der Gerechtigkeit entspricht.
Daraus folgt, also, dass die gegenseitige Anerkennung eben kein Prinzip ist, sondern eine politische Entscheidung, eine policy. Denn wer sie anwendet, der tut das nicht um sich der Idee der Gerechtigkeit anzupassen (im Gegenteil! Manchmal ist die Nichtanwendung der gegenseitigen Anerkennung gerechter als deren Anwendung), sondern um eine politische Entscheidung zustande zu bringen, nämlich diejenige, die Effektivität in der Strafverfolgung grenzüberschreitender Delikte zu erreichen, die die Not zur Erleichterung und Beschleunigung der internationalen Zusammenarbeit in Strafsachen unter der EU Mitgliedstaaten erforderlich gemacht hat.
Dieses „Prinzip“ ist jedoch mit einem evidenten Widerspruch zu den allgemeinen Rechtsprinzipien der EU behaftet, und zwar zu dem Legalitätsprinzip, wie sich im Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl zu sehen ist. In der Tat: Die darin vorgesehene Verpflichtung des Vollstreckungsstaates, die Täter von bestimmten Straftaten zu übergeben, ungeachtet der Voraussetzung der doppelten Strafbarkeit, führt zu einer klaren Verletzung des Legalitätsprinzips und somit des Rechtsstaatsprinzips, da dem Vollstreckungsstaat die Pflicht obliegt, zur Bestrafung eines Verhaltens beizutragen, das in seinem Territorium frei und straflos vorgenommen werden darf . Ferner wird der Vollstreckungsstaat verpflichtet, wegen einer solcher Handlung, die keine Straftat nach dem nationalen Recht ist, strafprozessuale Zwangsmaßnahmen gegen den Angeklagten zu ergreifen.
Daraus ergibt sich also, dass die Kombination des „Prinzips“ der gegenseitigen Anerkennung mit dem Verzicht auf das Erfordernis der doppelten Strafbarkeit im Rahmen des Europäischen Haftbefehls nicht nur zur Verletzung des Legalitätsprinzips, sondern auch zur Missachtung von weiteren wichtigen und echten Rechtsprinzipien führt, wie das Prinzip der Nichteinmischung und des Missbrauchsverbots. Aber darüber hinaus führt die Einführung von Mindestnormen, die nach Art. 82 Abs. 2 AEUV zur Erleichterung der Funktion der gegenseitigen Anerkennung vorgesehen wird, zu einer Nivellierung des Menschenrechtschutzes in Bezug auf alle Personen die sich im Territorium der EU Mitgliedstaaten aufhalten, mit dem Ergebnis, dass sie den niedrigsten Schutz genießen, der unter den EU Mitglieder vorgesehen ist.
Auf der anderen Seite führt dieses „Prinzip“ zu unüberwindlichen Wertungswidersprüchen, die sogar seine Legitimation in Frage stellen könnten, und zwar in Bezug auf den AEUV. Das kann z.B. im Rahmen der Rechtshilfe in Strafsachen der Fall sein, wenn die Erlangung eines Beweismittels zwar nach dem Recht des Vollstreckungsstaates rechtswidrig, nach dem Recht des Forums jedoch gesetzwidrig ist. Unter Anwendung also der gegenseitigen Anerkennung, kommt man zum widersprüchlichen Ergebnis, dass bei einer in Mittäterschaft begangenen Straftat, das selbe Beweismittel, das nach dem Recht des Forums auf rechtswidrige Weise erlangt worden ist, nach dem Recht des Vollstreckungsstaates aber rechtmäßig, gültig oder ungültig angesichts eines Mittäters ist, je nachdem, ob diser im Vollstreckungsstaat oder im Forum tätig gewesen war. So wird aber nicht nur das Gleichheitsprinzip verletzt, da Gleiches ungleich behandelt werden, sondern auch das Prinzip des Vertrauensschutzes (der legal certainty) und somit der Rechtssicherheit. Aber auch das Missbrauchsverbot wird dadurch mittelbar verletzt, da diese Regelung zu einer unerträglichen indirekten Einmischung in die ausländische Rechtsordnung führt und eine Entstellung der Strafprozessordnung der Mitgliedstaaten ermöglicht und zwar in Richtung der Abschwächung des Menschenrechtsschutzes. In Wirklichkeit begründet also das „Prinzip“ der gegenseitigen Anerkennung eine eigenartige Exterritorialität des am meisten in die Menschenrechte eingreifenden Beweissystems, die das Forum zu dulden hat, obwohl die Rechtsregeln des letzteren strengere Voraussetzungen für die Erlangung desselben Beweismittels setzen .
Diese Erkenntnis, in Verbindung mit der Tatsache, dass auf der Basis dieses Prinzips die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die jeweilige Mindestregeln von Straprozessnormen anzuerkennen, die von jeden beliebigen EU Staat herkommen, macht deutlich, dass die in Erörterung stehende Regelung das Forum zu ein „journey into the unknown“ zwingt, was die Revision und Verbesserung der Regelung erforderlich macht .
Unser drittes Zwischenergebnis ist also das folgende: Das „Prinzip“ der gegenseitigen Anerkennung stellt zwar ein wünschenswertes und erstrebenswertes Ziel, darf aber nicht um jeden Preis verfolgt werden, vor allem nicht unter Verletzung wichtiger und echter Prinzipien des EU-Strafrechts. Letztere können nur dann unversehrt bleiben, wenn sie eine Sperrwirkung entfalten, die die Anwendung der gegenseitigen Anerkennung hindert falls sie sonst verletzt werden. Des weiteren, bringen die obigen Bemerkungen eine andere Frage zum Ausdruck, die innerhalb des heutigen EU- Strafrechts besteht, nämlich das Problem der Kohärenz seiner Normen.
V. Kohärenzdefizite im europäischen Strafrecht?
Kohärenz ist eine weitere Voraussetzung eines befestigten und damit lebensfähigen Systems. In einer Rechtsordnung verleiht Kohärenz den Rechtssätzen Überzeugungskraft und Seriosität, so dass der Normadressat sicher sein kann, dass sie keine Willkür- und Zustandsprodukte sind, sondern mit den allgemeinen Prinzipien des Systems in Einklang stehen. In einer Strafrechtsordnung, insbesondere, verstärkt die Kohärenz das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit des Systems sowie auf die Geltung dieser Ordnung und damit erleichtert sie die Funktion der positiven Generalprävention . Obwohl; jedoch, der Vertrag von Lissabon sich um eine solche Kohärenz erkennbar bemüht hat, ist letztere in Bezug auf das in ihm ausgestaltete Strafrechtssystem nicht überall zu finden.
Hierzu einige Beispiele:
a) Die Europäische Union ist nunmehr zur EMRK beigetreten (Art. 6 Abs. 2 EUV) und zwar auf eine uneingeschränkte Weise, so dass die Grundrechte, die in der EMRK befestigt sind und sich von der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, auch Teil der allgemeinen Rechtsprinzipien der EU sind (Art. 6 Abs. 3 EUV). Es besteht also eine völlige Assimilation der EMRK-Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsprinzipien der EU. Hinzu kommt, dass nunmehr die EU der Judikatur des EuGH für Menschenrechte praktisch unmittelbar unterworfen ist .
Daraus ergibt sich, also, dass eine strafrechtliche Regelung, die mit der EMRK nicht vereinbar ist, nicht nur den Rechtsprinzipien der EU zuwiderläuft, sondern darüber hinaus der Judikatur des EUGH aber auch des EuGHMR unterworfen ist.
Des weiteren wird nach Art. 52 Abs. 3 der Grundrechte-Charta der EU (die bekanntlich nunmehr völlige Rechtswirkung erlangt hat), den in der EMRK enthaltenen Grundrechten derselbe Sinn und dieselbe Reichweite wie in der EMRK beigemessen. Ein Grundrecht, also, das sowohl in der EMRK als auch in der Charta vorgesehen wird, hat nunmehr nach EU Recht den selben Sinn mit der EMRK und muss daher einheitlich ausgelegt und angewendet werden.
In Anbetracht dieser wirklich begrüßenswerten Rechtslage, erhebt sich jedoch die Frage, was man mit dem Begriff der strafrechtlichen Anklage und somit mit dem Begriff der strafrechtlichen Sanktionen tun wird. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass gerade in Bezug auf den Begriff der strafrechtlichen Anklage zwischen der Rechtsprechung des EuGH und EuGHMR eine klare Divergenz besteht, da beide Gerichte auf ganz unterschiedlichen Grundkonzeptionen abstellen. Denn obwohl der EuGHMR sogar bei geringeren Übertretungen die einschlägige Sanktion bereits als Strafe anerkennt und ihr den Schutz der Garantien aus Art 5 und 6 EMRK gewährt, geht der EuGH davon aus, dass eine Vermögenssanktion, die im Falle rechtswidrig erlangten Subventionen auferlegt worden ist, keine Kriminalstrafe sei, sondern eine Sanktion rein administrativer Natur .
Eine solche Betrachtungsweise jedoch, und zwar in einer so wichtigen Frage, macht deutlich, dass sich die europäische Rechtsordnung nicht nur inkonsistent mit der EMRK, sondern nunmehr innerlich systemwidrig und daher inkohärent erweisen könnte.
b) Ein weiteres Beispiel von Inkohärenz ist dasjenige, das im Rahmen des Falles Kraaijenbrik des EuGH entstanden ist :
Dort hatte sich der EuGH mit dem Problem der Identität einer Straftat befasst, um beurteilen zu können, ob das ne bis in idem Prinzip angewendet werden konnte oder nicht. Es handelte sich dabei um eine Angeklagte, die in Holland wegen Verstöße gegen das Rauschmittelgesetz verurteilt worden war, die in einem Zeitraum von 7 Monaten begangen waren, während sie anschließend auch in Belgien verurteilt war, wegen ähnlicher Straftaten, die ebenfalls in der selben Zeitspanne, zusätzlich aber auch in den nachfolgenden weiteren 10 Monaten begangen waren. Obwohl sie behauptet hatte, dass alle ihre Handlungen Teile einer Gesamthandlung war, die auf einer gemeinen Absicht beruhten, Rauschmittel zu transportieren, hat der EuGH die Meinung der nationalen Gerichte (von Belgien und Holland) geteilt, dass die Straftaten der Angeklagten nicht identisch wären und somit festgestellt, dass sie vom ne bis in idem Prinzip nicht gedeckt würden. Dabei war der EuGHdavon ausgegangen, dass für die Tatidentität eine Gemeinabsicht nicht genüge. Erforderlich sei vielmehr eine unverwüstliche Verbindung der Teilhandlungen, was in concreto nicht der Fall zu sein schien.
Damit hat sich der EuGH nicht nur über die Tatidentitätsvoraussetzungen geäußert, sondern auch -implizit aber sehr deutlich- über den Begriff der natürlichen Handlungseinheit und vor allem über denjenigen der fortgesetzten Straftat als Grundlage der Tatidentität. Dieser ist jedoch kein einheitlicher Begriff unter den europäischen Mitglied-Staaten. In der BRD ist er sogar vom BGH im Prinzip aufgegeben worden, und zwar gerade deswegen, weil der Rechtsprechung nicht gelungen war, ihn auf eine befriedigende Weise zu präzisieren .

VI. Bestimmtheitsgebot und Kriminalisierungskriterien im neuen Europäischen Strafrecht
Angesichts der erweiterten Ermächtigung der EU zur Strafrechtssetzung, hat sie nunmehr, wie gesagt, die Möglichkeit, die Definition einer Straftat und nicht einfach das zu verfolgende Ziel festzusetzen (Art. 83 Abs. 1 AEUV). Die Richtlinie darf also Tatbestände formulieren und nicht mehr den schlichten Typus des strafwürdigen Verhaltens, das bekämpft werden soll. Die Festsetzung bzw. Definition der Mindestmerkmalen einer Straftat ist aber nicht mit der Bezeichnung eines durch die Mitgliedstaaten zu verfolgenden Zieles gleichzustellen, da sie eben in der Beschreibung der Mittel besteht, d.h. der Tatbestandsmerkmale. Die Festsetzung von Mindestmerkmalen lässt keinen Raum zur Wahl der Mittel übrig, er erlaubt höchstens den Zusatz noch strengerer Strafbarkeitsbedingungen. Daraus folgt, dass die auf Art. 83 Abs. 1 AEUV beruhenden Richtlinien ihre ursprüngliche Funktion überschreiten. Denn zum einen wird die Richtlilie keineswegs gehindert, die Tatbestandsmerkmale einer Straftat bis auf die letzte Einzelheit festzusetzen, so dass praktisch kein Raum dem Mitgliedstaat, nicht einmal zu einer Modifizierung gelassen wird. Zum anderen aber wird der Mitgliedstaat um nichts gehindert, die Richtlinie buchstäblich ins inländische Recht zu übernehmen.
Die Richtlinien des Art. 83 Abs. 1 AEUV sind also mit einem weit darüber hinausragenden Sinn behaftet, zumal sie den Erfordernissen des Tatbestandsbegriffs genügen müssen. Auf diese Weise übernehmen nunmehr die Richtlinien und Verordnungen, die die Definition von Straftaten beinhalten, eine Tatbestandsfunktion. So müssen die einschlägigen Richtlinien sämtliche Tatbestandsfunktionen erfüllen, nämlich nicht nur die Indizierende und die Generalpräventive Funktion, sondern auch und vor allem die Rechtstaatliche. Mit dem Vertrag von Lissabon wird also die Garantiefunktion der strafrechtssetzenden Richtlinien und Verordnungen, die nach Art. 83 und 325 AEUV erlassen werden, zum unerlässlichen Bestandteil der einschlägigen europäischen Gesetzgebungsprinzipien.
Die daraus resultierenden Konsequenzen sind zahlreich aber auch zugleich sehr wichtig:
1. In Bezug auf die höchstrichterliche Überprüfung: Eine Richtlinie, die diese Voraussetzung nicht erfüllt ist Vertragswidrig und somit unterliegt sie der Kontrolle durch den EUGH, gemäß Art. 263 AEUV, nach dem der EUGH die Gesetzgebungsakten, sowie die Akten des Rates, der Kommission und der Europäischen Zentralbank auf ihre Legalität hin überprüft. Darüber hinaus unterliegt sie der Kontrolle durch den EuGHMR. Denn der Straßburger Gerichtshof hat sich bekanntlich das Recht vorbehalten, die Übereinstimmung der strafrechtlichen Begriffe des Europarechts mit der EMRK zu überprüfen, was aus mehreren Entscheidungen seiner Rechtsprechung zu entnehmen ist, vorwiegend aber aus der Cantoni.
2. In Bezug auf das Bestimmtheitsgebot: Auch das` Bestimmtheitsgebot ist ein Standard das unmittelbar aus dem der Legalitätsprinzip fließt und somit auch der EUGH Kontrolle unterliegt. Beispiele von unbestimmten EU Vorschriften, die in Rahmenbeschlüssen enthalten sind, hat schon das Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik angegeben .
Von Bedeutung sind hier vor allem Fälle von Unbestimmtheit, die dem Recht der EU eigentümlich sind und daher Vertragswidrigkeit begründen. Eine solche Unbestimmtheit könnte darin liegen, dass die auf Grund des Art. 83 erlassenen Richtlinien, den Mitgliedstaaten die Möglichkeit geben, oder sogar die Pflicht auferlegen, zu unerträglich weiten und daher unbestimmten und gefährlichen für die Grundfreiheiten Formulierungen vorzuschreiten.
So sieht z.B. Art. 75 AEUV dass das Ergreifen von Verwaltungsmaßnahmen, die auf die Einziehung von Vermögenswerten gerichtet sind, nicht nur Terrorismus, sondern auch „ähnliche „ bzw. „zusammenhängende Aktivitäten“ miterfasst, wobei unklar ist, welche diese Aktivitäten sein könnten .
Noch wichtiger wäre jedoch in Bezug auf das Bestimmtheitsgebot das Bestehen unbestimmter strafrechtsbezogenen Vorschriften im Vertrag von Lissabon selbst. In diesem Fall ginge es um „vertragswidrige Vertragsnormen“. Ein solcher Kandidat ist der Begriff der „besonders schwerer Kriminalität“, sowie die „anderen Bereichen von Kriminalität“ im Art. 83 Abs. 1 Ziff. 1 und 3 AEUV. Danach sind das Europäische Parlament und der Rat befugt, gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität zu erlassen, wobei diese Ermächtigung auch auf anderen Kriminalitätsbereiche erweitert werden kann. Welche sind diese Bereiche von Kriminalität, die nicht einfach schwer, sondern „besonders schwer“ sind? Und nach welchen Kriterien darf die Pönalisierungsermächtigung auf anderen Sektoren ausgedehnt werden? Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass eine im Katalog des Art. 83 Abs. 1 Untersatz 2 enthaltene Straftat auch geringen Unwert haben kann. Eine Bestechung von 500 Euro z.B., die von einem Mitgliedstaat in einen anderen überwiesen werden, erfüllt zwar die formalen Kriterien des Art. 83 AEUV (Korruption und Transnationalität), kann aber unter den Begriff der „besonders schweren Kriminalität“ unmöglich subsumiert werden .
Es gibt also keine klare Kriterien, nach denen eine Straftat unter den Begriff der besonders schweren Kriminalität subsumiert werden kann.
3. In Bezug auf die Kriminalisierungskriterien. Der Vertrag von Lissabon stellt bekanntlich auf die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Subsidiarität und somit mittelbar auf das Erforderlichkeitsprinzip, qua Pönalisierungskriterien ab. Diese Kriterien sind zwar wünschenswert und wichtig, liefern aber keine abgeschlossene Lösung des Problems.
In der Tat: Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist nicht genügend erklärt und nicht einheitlich ausgelegt worden . Darüber hinaus ist die höchstrichterliche Kontrolle der Subsidiarität ein unzulängliches Instrument, da sie sich nicht auf die Kontrolle der Verhältnismäßigkeit ausdehnt. Warum hat die sog. Notbremse des Art. 6 des 2. Protokolls über die Anwendung der Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sich auf die Kontrolle der ersteren beschränkt, ist nicht einzusehen. Nach dieser Logik können strafrechtliche Maßnahmen, die anderen wichtigen Prinzipien widersprechen, z.B. dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, als mit dem Europarecht vereinbar betrachtet werden. Ist z.B. die Repression des Rauchens erst mit lebenslanger Strafe effektiv zu erreichen, so hat der Mitgliedstaat kein Recht auf die Betätigung der Notbremse. Denn Art. 5 unterscheidet klar zwischen Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit und Art. 6 verleiht die Möglichkeit einer Vertagung des Verfahrens nur im ersteren Fall. Nur in Bezug auf die Richtlinien kann die Notbremse betätigt werden auch wenn deren Entwurf berührt grundsätzliche Aspekte seiner Strafrechtsordnung. Was, aber, wenn es sich um den Entwurf einer Verordnung handelt, der die Möglichkeit von äußerst harten prozessualen Zwangsmaßnahmen vorsieht, die der Europäischen Staatsanwaltschaft zustehen, im Rahmen der Bekämpfung der EU-Rechtsgüter, nach Art 86 Abs. 1 und 2 AEUV?
Es ist wahr, dass Art. 83 Abs. 1 AEUV in manchen Fällen die Strafbarkeit in dem Sinne ausdehnt, dass er die Strafbarkeit von Handlungsweisen vorsieht, die nicht in allen Mitgliedstaaten pönalisiert oder genügend pönalisiert waren, wie z.B. Fällen von Menschenhandel . Diese Ausdehnung der Strafbarkeit ist nicht ex definitione verwerflich, da sie dem Untermaßverbot und daher dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht . Das bedeutet jedoch nicht, dass wir damit klare Kriterien haben, da viele Fragen noch offen bleiben: Gehen wir etwa von einem absoluten harm principle aus oder beinhaltet das Europastrafrecht auch paternalistische Merkmale? Legen wir den Rechtsgutsbegriff zugrunde oder nicht? Wenn ja, bleibt die Bestimmung der schutzwürdigen Rechtgüter den Mitgliedstaaten überlassen, wie der BVerfG im Lissabon Urteil fordert? Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Begriffe einer kollektiven Sicherheit oder eines europäischen ordre public wegen ihrer Vagheit und Unbestimmtheit keine befriedigende Kriminalisierungskriterien liefern können . Es bleiben also die Identität der Mitgliedstaaten und deren gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen, die als Kriminalisierungskriterien nicht vernachlässigt werden dürfen, da sie einen unerlässlichen und lebendigen Bestandteil der europäischen Rechtsordnung bilden. In dieser Richtung muss sich die Arbeit des Strafrechtsdogmatikers im europäischen Rechtsraum orientieren.
VII. Ergebnis: Die Aufgaben der Strafrechtsdogmatik im Europäischen Strafrecht
Nach alledem ergibt sich dass die Strafrechtsdogmatik im Rahmen des europäischen Strafrechts auf der Grundlage des Lissabonner Vertrages wichtige Aufgaben, die ihre Rolle und Verantwortung in Bezug auf die Ausgestaltung und Entwicklung des Strafrechts erheblich erhöhen. Sie muss:
-die Normen des Europäischen Strafrechts in ein System organisieren,
-Die Garantiefunktion der auf der Grundlage des AEUV (Art. 83 Abs.1 und 2, 79 Abs. 2 Lit. c und d und 235 AEUV) in Richtlinien oder Verordnungen formulierten Tatbestände überprüfen,
-Wertungswidersprüche beseitigen und Kohärenz wiederherstellen,
-sorgen dafür, dass die EU-Strafvorschriften in Einklang mit den Rechtsprinzipien der EU sind,
-die Bedeutung und Sinn dieser Rechtsprinzipien für das europäische Strafrecht klarstellen,
-Die Auslegung der strafrechtlichen Vorschriften des EU Rechts von der ad hoc Beurteilung der Rechtsprechung befreien und sie global, in Bezug auf jeden möglichen Fall, bearbeiten, damit sie vorhersehbar auf möglichst größerem Umfang sein können.







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