16 November 2014 Versuchsbeginn und Mittäterschaft I. Die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten1. Die Frage nach der begrifflichen Erfassung des Versuchsbeginns bei einervon mehreren Personen gemeinsam geplanten Straftat, wenn nur einer von ihnenseinen Tatbeitrag begonnen hat, wird auf der Grundlage von zwei Konzepten beantwortet:Nach der sog. Gesamtlösung ist der Versuchsbeginn des einen MittätersVersuchsbeginn aller, da jedem Mittäter das Verhalten des anderen so zugerechnetwird, als ob er es selbst begangen hätte. Diese Auffassung beruht bekanntlichauf dem folgenden Gedanken: Da bei vollendeter Mittäterschaft die Handlungeines jeden Mittäters den anderen zugerechnet wird, muss dasselbe auch imFalle des Versuchs gelten, vorausgesetzt, dass der von einem begangene Anfangder Ausführung Inhalt des gemeinsamen Tatentschlusses war.11 LK/Hillenkamp, 12. Aufl. 2007, § 22 Rn 173; Ingelfinger JZ 1995, 704 ff., 713, Kühl, Strafrecht, AllgemeinerTeil, 6. Aufl. 2008, § 20 Rn 123; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, 5. Aufl. 1996, § 63IV 1; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Neuaufl. 2003, § 29 Rn 104; Buser, Zurechnungsfragenbeim mittäterschaftlichen Versuch, 1998, S. 16 ff.; Krey, Deutsches Strafrecht, AllgemeinerTeil, Bd. 2, 3. Aufl. 2008, Rn 439; ˆ Erack ZStW 110 (1998), 611 ff.; Küper, Versuchsbeginn und Mittäterschaft,1978, S. 60 ff.; Schönke/Schröder/Eser, 28. Aufl. 2010, § 22 Rn 55; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht,Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2011, § 12 Rn 107; BGHSt 36, 249 = BGH NJW 1995, 142. Dieser Lösungfolgt auch die griechische Rechtsprechung. S. z. B. Areopag 1338/2005; Poinikos Logos 2005, 1260;Areopag 1074/1984; Poinika Chronika Bd. 35 (1985), 551; Strafgericht erster Instanz von Athen 5279/94;Yperaspisi 1997, 135, mit Vorschlag von D. Asprogerakas.Es versteht sich, dass die Handlung des ersten Mittäters einen Anfang der Ausführungder gesamten Straftat darstellen muss und nicht bloß eine erste Handlung,die einen neuen Tatentschluss des anderen Mithandelnden voraussetzen würde.So besteht z. B. eine versuchte Explosion in Mittäterschaft, wenn der eine Komplizedie Sprengstoffmaterie unter das Auto des Opfers legt, während der anderewartet, um sie anschließend zu entzünden. Ein Versuch des Ersteren liegt nachdieser Auffassung aber noch nicht vor, wenn der Zweite erst einige Tage späterhandeln wird.22 SoLK/Hillenkamp § 22 Rn 174.2. Nach der Einzellösung hingegen wird das Verhalten jeder einzelnen Person,die zusammen mit anderen einen Tatentschluss gefasst hatte, unabhängig von denanderen bewertet. In diesem Fall, so wird behauptet, könne das Verhalten des anderen,der zwar am Tatort anwesend ist, aber trotzdem noch untätig bleibt, höchstensals psychische Beihilfe bewertet werden, nicht aber als Mittäterschaft.33 Für die griechische Dogmatik: Androulakis, Strafrecht, Allgemeiner Teil Bd. II, 2. Aufl., Athen 2005,S. 174 ff. (auf gr.); Dimakis, StGB Kommentar, Athen 1993 ff., Art. 45 Rn 2 und 58(auf gr.); Bitzilekis,Die Teilnahmehandlung, Thessaloniki 1990, S. 179, 182 (auf gr.),; Symeonidou-Kastanidou Yperaspisi191997, 143 (auf gr.); Christopoulos, Poiniki Dikaiosyni, 2008, S. 231 ff. (auf gr.). Für die deutsche Dogmatikvgl. vorerst nur die Nachw. b. LK/Schünemann § 25 Rn 203 Fn 451.3. Eine dritte, vermittelnde Lösung (in Wirklichkeit eine Verbesserung der Gesamtlösung)wurde schon vom RG vorgeschlagen: Danach werde nicht für jeden Komplizeneine selbstständige Versuchshandlung gefordert, sondern es genüge, dass das Verhaltendesjenigen, der noch untätig geblieben ist, sich vom Verhalten eines unbeteiligten beliebigenDritten unterscheidet, während der Erstere die eigene, »unangefochtene« Versuchshandlungbeginnt.44 RGSt9,3,6.So begehe z. B. A, die Ehefrau des B, die vor der Tür der Wohnungdes Opfers »untätig« wartet, bis ihr Mann ins Haus einbricht, wo sie anschließend denwertvollen Schmuck wegnehmen wird, einen versuchten Diebstahl in Mittäterschaft.Dieser dritte Lösungsvorschlag wird durch weitere Überlegungen gestützt: DieFeststellung, dass das zu erörternde Verhalten des Komplizen sich vom Verhalteneines unbeteiligten Dritten unterscheidet, ist darauf zurückzuführen, dass B in unseremBeispiel mit dem Einbruch nicht begonnen hätte, wenn A nicht da gewesenwäre. Der Anfang der Ausführung von B wurde demgemäß in der Erwartung verwirklicht,dass auch A mitmachen würde, und ist insofern als Erfolg des Gesamtplans,aber auch als Erfolg der Anwesenheit von A am Tatort zu betrachten, die ihrerseitsdie Bereitschaft hat, den eigenen Handlungsteil direkt im Anschluss auszuführen.Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass das zur Erörterung stehende Verhalten desKomplizen, das, isoliert betrachtet, eine Vorbereitungshandlung darstellen würde, nichtmehr als solche betrachtet werden kann, wenn ein gemeinsamer Tatentschluss und Arbeitsteilungvorliegen. Denn in diesem Falle ist der Beitrag eines jeden Mitentschlossenennicht selbstständig, sondern wird i. V. m. dem Beitrag der anderen verwirklicht; er istnämlich in einen gemeinsamen Tatplan eingebunden. Der Versuch des einen ist gleichzeitigErfolg des Beitrags des anderen. Schon aus diesem Grunde, d. h. wegen des Versuchsdes einen, kann der Beitrag des anderen nicht mehr als schlichte Vorbereitungshandlungangesehen werden. Denn er ist gleichzeitig auch eine Bedingung des Anfangs der Ausführung,der schon begangen worden ist, und nimmt insofern daran teil.55 S. schon Mylonopoulos, Anwendungen des Strafrechts, 1997, S. 97 (auf gr.); nunmehr auch NK/Zaczyk,3. Aufl. 2010, § 22 Rn 67; Köhler, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 1997, S. 541, die einen gewissen objektivenTatbeitrag des untätigen Mittäters fordern, wie Anwesenheit am Tatort, Abhängigkeit des Gelingensder Straftat von ihm usw.Bemerkenswerterweise hat der BGH in diesem Zusammenhang nicht nur dann eineMittäterschaft akzeptiert, wenn der Mitentschlossene in Tatbereitschaft wartet, sondernauch, wenn er seine von vornherein vereinbarte Mitwirkung unterlässt, während die anderenmit den eigenen Versuchen begonnen haben. Als Beispiel sei der Sachverhalt vonBGHSt 37, 289 erwähnt: Die flüchtigen A und B haben vereinbart, notfalls die sie verfolgendenPolizisten zu töten. Als die Letzteren jedoch vor ihnen standen, hob A die Händehoch, um zu zeigen, dass er keinen Widerstand leisten würde, während der andere (B)vereinbarungsgemäß zwei Polizeibeamte tötete. In diesem Fall ergebe sich nach demBGH aus den gesamten Umständen eine enge Verbindung des Verhaltens beider, da B deneigenen Beitrag so an das Verhalten von A angepasst hatte, dass er als Bestandteil der Tätigkeitdes Ersten erscheine.II. Die Vorschriften über Versuch und Mittäterschaft alsstrafbarkeitsausdehnende VorschriftenEine wichtige Rolle in der vorliegenden Problematik spielt die Kombination derVorschriften über Versuch und Mittäterschaft. Zum einen erweitern die Ersteren dieStrafbarkeit in dem Sinn, dass sie die Bestrafung desjenigen ermöglichen, der denWillen geäußert hat, ein Rechtsgut zu beeinträchtigen, unter der Voraussetzung, dassdie Bedingungen des § 22 StGB gegeben sind. Auf der anderen Seite erweitern auchdie Vorschriften über die Mittäterschaft die Strafbarkeit, da sie die Bestrafung desMittäters wegen eines (Teil-)Aktes erlauben, den nicht er selbst, sondern ein andererbegangen hat, wiederum unter der Voraussetzung der Bedingungen des § 25 IIStGB. Aufgrund dieser Vorschrift wird also als Mittäter auch derjenige betrachtet,der nur einen Teil der Straftat begangen hat. Diesem wird auch der nicht von ihmausgeführte Teil der strafbaren Handlung zugerechnet, der, nach der vereinbartenArbeitsteilung, vom anderen Mittäter begangen worden ist.Für das Vorliegen der Mittäterschaft wird also keine gemeinsame Tatausführungin Bezug auf den gesamten objektiven Tatbestand gefordert, genauso wie derVersuch keine volle Verwirklichung des objektiven Tatbestandes voraussetzt. Indiesem Fall genügt die Tatentscheidung, genauso wie im Fall der Mittäterschaftder gemeinsame Vorsatz genügt. Aus der Kombination beider Vorschriften ergibtsich also, dass der Versuchende nicht nur für das verantwortlich sein kann, was erselbst ausführen will, sondern auch für etwas, das der andere Mittäter aufgrundeines vorher gefassten gemeinsamen Tatentschlusses ausführen will.III. Die Mittäterschaft als einheitliche Handlung eines multipersonalenSubjekts1. Eine Bestätigung dieser Betrachtungsweise wird von der analytischen Philosophiegeliefert, insbesondere von den Arbeiten von Gilbert und Tuomela, die die Bedeutung dersog. gemeinsamen Handlungen (joint actions) hervorheben. In diesem Fall werde dieHandlung von einem multipersonalen Subjekt (plural subject) ausgeführt, das von allenMit-Handelnden gebildet wird. Voraussetzung dafür, dass zwei oder mehrere Personeneine (gemeinsame) Handlung teilen, sei, dass jeder einzelne den Willen geäußert hat, mitden anderen ein multipersonales Subjekt zu begründen, so dass alle zusammen zu Teileneines solchen Subjekts werden. Zu diesem Zweck müssen alle Teil-Handelnden (Teil-Subjekte) die eigene Bereitschaft geäußert haben (sog. quasi-readiness), an der gemeinsamenHandlung teilzunehmen. Die Handlungsbereitschaft erweist sich also als wesentlicherBestandteil der gemeinsamen Aktion. In diesem Fall agiere jeder Teil-Handelndeals Teil des multipersonalen Subjekts.66 Gilbert, On social Facts, Princeton 1992, S. 197 ff., 204.Erreicht also einer der Handelnden den gemeinsamenZweck, so haben ihn auch die anderen erreicht.77 Tuomela, The Importance of Us, Stanford 1993, 293.Der Beitrag der analytischen Philosophie zu unserer Frage ist aufschlussreich, da sieuns erlaubt einzusehen, dass eine Handlung, die isoliert betrachtet eine einfache Vorbereitungshandlungist, sich in eine täterschaftliche Handlung umwandelt, wenn sie in denRahmen einer gemeinsamen Aktion eingebettet wird. Sie erklärt m. a. W., weshalb einerprima facie rechtsneutralen Handlung eine andere Bedeutung zukommt, wenn sie als Teileiner gemeinsamen Handlung betrachtet wird.2. Dieses philosophische Konzept nähert sich im Wesentlichen der Theorie des sog.Gesamtsubjekts an, nach der die Mittäterschaft als Handlung eines einheitlichen Subjektskonzipiert werden müsse, wo mehrere Mittäter eine Art »juristische Person« mitbegründeten,88 Joerden JZ 1995, 735; vgl. Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht, Allgemeiner Teil, Bd. 2, 8. Aufl. 2002, § 49Rn 5, 9 ff.; Bloy, Die Beteiligungsform als Zurechnungstypus im Strafrecht, 1985, S. 170 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, AT I, § 12 Rn 77; Heinrich, Rechtsgutsbegriff und Entscheidungsträgerschaft, 2002,S. 287, der von einer imaginären Gesamtperson spricht.so dass der Versuchsbeginn des einen auch den Anfang der Ausführung für dieanderen darstelle. Obwohl diese Konstruktion von manchen Autoren als ein »lebensfremdesMonster«99 Schilling, Der Versuch des Mittäters und des mittelbaren Täters, 1975, S. 64 ff.; vgl. ferner Christopoulos(Fn 3), S. 235 ff.; NK/Schild § 25 Rn 84.und jedenfalls als mit dem Schuldprinzip unvereinbar1010 Christopoulos (Fn 3), S. 235 ff.verworfen wordenist, geht diese Kritik fehl, und zwar aus folgenden Gründen:Erstens: Die Analyse von Gilbert und Tuomela entgeht der Kritik schon deshalb, weilsie nicht von einem einheitlichen, sondern von einem multipersonalen Subjekt spricht,wo der Teil-Akt des einen dem anderen zugerechnet werde, und zwar auf Grund der gemeinsamenVereinbarung.Zweitens: Der Vorwurf, die Auffassung vom Gesamtsubjekt stelle auf eine Fiktion ab,ist keineswegs überzeugend, denn die Vorschriften über Mittäterschaft sind eben daraufgerichtet, dem einen Mittäter Teil-Akte zuzurechnen, die ein anderer begangen hat.Drittens: Eine Tatbestandsverwirklichung alsWerk mehrerer aufzufassen, verstößt keineswegsgegen das Schuldprinzip. Ein solcher Verstoß würde nur dann bestehen, wennman dem Mittäter Handlungen zugerechnet hätte, die er weder gewollt noch gekannt hatte.Nach den Vorschriften über Mittäterschaft wird aber jede Handlung, die nicht mitbeschlossenworden ist, von der Mittäterschaft ausgeschlossen.1111 Vgl. Joerden JZ 1995, 735.Die Lehre vom multipersonalenSubjekt läuft also keineswegs auf eine Kollektivhaftung hinaus, sondern zeigtsehr deutlich, dass die gemeinsame, auf gemeinsamem Tatentschluss beruhende Aktioneine Selbstständigkeit hat und als einheitliche Entität konzipiert werden muss, währendsie gleichzeitig die Voraussetzungen einer solchen gemeinsamen Handlung ausformuliert:gemeinsamer Wille aller, mit vereinten Kräften am gemeinsamen Zweck mitzuwirken,und gegenseitiges Wissen dieses Willens und der gemeinsamen Bereitschaft aller.1212 Gilbert (Fn 6), S. 204 ff.3. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass derjenige, der nach dem gemeinsamenTatplan »untätig« am Tatort wartet, bis sein Komplize mit dem eigenen Tatteil fertigist, in Wirklichkeit keineswegs untätig geblieben ist. Wer z. B. nach dem gemeinsamenTatentschluss im Schatten wartet, bis der andere den Widerstand desOpfers überwältigt, um dann dessen Geld wegzunehmen, handelt schon zu diesemZeitpunkt tatbestandsmäßig. Denn mit seinem Verhalten, d. h. Anwesenheit amTatort und der Bereitschaft zur sofortigenWegnahme, hat er zum Versuch des Ersterenbeigetragen, so dass dieser Versuch auch als sein Werk konzipiert werdenkann, also als Erfolg auch des eigenen Verhaltens. Es besteht nämlich ein Kausalzusammenhangzwischen der eigenen Handlung und dem Anfang der Ausführungdes anderen.IV. Das Hauptargument: Begriffliche Abhängigkeit des Tatentschlusses desVersuchenden von der Mittäterschaft1. Während die Kritik an den angeblichen konstruktiven Schwächen der Gesamtlösungalso entkräftet werden kann, besteht das Hauptargument gegen dieEinzellösung m. E. in Folgendem: Es steht außer Zweifel (und darin besteht auchmit der Einzellösung Einigkeit), dass derjenige, der im Rahmen eines gemeinsamenTatentschlusses den Anfang der Ausführung verwirklicht, auf jeden Fall Versuchstäterder gemeinsam beschlossenen Straftat ist. Auch dessen Bestrafung istjedoch nur im Rahmen der Gesamtlösung möglich und nicht auf der Basis derEinzellösung. Zwar wird im Rahmen der einschlägigen Diskussion bisher dieStrafbarkeit des ersteren Mittäters, der den Anfang der Ausführung begangen hat,gewissermaßen als selbstverständlich betrachtet. Deswegen stellt man auf dasVerhalten des Zweiten ab und versucht festzustellen, ob auch dessen Verhalten alsVersuch qualifiziert werden kann oder nicht. Ist das aber so? Kann das Verhaltendes Ersteren als Versuch qualifiziert werden, und zwar unabhängig vom Verhaltendes Zweiten? M. a. W.: Können wir annehmen, dass die Handlung des Ersterenauch dann ein Versuch wäre, wenn wir die Hypothese aufstellen, dass er alles alleingetan hat, d. h. ohne gemeinsamen Tatplan und ohne gemeinsamen Tatentschluss?Nehmen wir z. B. den bekannten Mofa-Fall:1313 Areopag 1074/1984, Poin. Chron Bd. 35 (1985), 550; Mylonopoulos, Strafrecht, Besonderer Teil, 2006,S. 81 ff. (auf gr.).A und B fassen den gemeinsamen Entschluss,unter Arbeitsteilung ein Mofa zu stehlen: A soll die Sicherheitskette aufschneiden,und B soll den Motor in Gang setzen. Können wir also sagen, dass A, der angefangenhat, die Kette aufzuschneiden, auf jeden Fall einen Diebstahlsversuch begangen hat,auch wenn er allein gehandelt hat, also ohne Erwartung der Mitwirkung des anderen?Die Antwort muss negativ sein! Denn wie wir wissen, ist ein Versuch erst dannmöglich, wenn (und mit der Maßgabe, dass) der Täter den Entschluss der gesamtenTat gefasst hat. In den zur Diskussion stehenden Fällen wäre dies indessennach der Einzellösung nicht der Fall. Der Versuchende hat für sich allein keinenVorsatz in Bezug auf die gesamte Straftat. Im Gegenteil, er will gerade, dass einTeil der geplanten gemeinsamen Straftat eben durch den anderen begangen werdensoll, nämlich durch den anwesenden und zur Mitwirkung bereiten Mittäter.Die Einzellösung führt also zu dem absurdum, jemanden als Versuchstäter zu betrachten,der den vom Gesetz verlangten Versuchsvorsatz (in Bezug auf den gesamtenobjektiven Tatbestand) nicht hat, eben weil nach dem gemeinsamen Tatplanein Teil des Tatbestandes nicht durch ihn, sondern durch einen anderen (denbisher Untätigen) verwirklicht werden soll.Wollen wir also das pragmatische Kriteriumanwenden, wonach Mittäter derjenige sei, dessen Verhalten zumindesteinen Versuch auch dann darstellen würde, wenn er allein gehandelt hätte, so sehenwir, dass genau dieses Kriterium beim Ersthandelnden nicht erfüllt wird.Denn derjenige, der den Anfang der Ausführung unternommen hat, hat bei isolierterBetrachtung keinen Tatentschluss in Bezug auf die gesamte Straftat, da sowohlnach seiner Vorstellung von der Tat als auch nach der gemeinsamen Vereinbarungein Teil des Delikts durch einen anderen begangen werden wird. M. a. W. führtdie konsequente Anwendung der Einzellösung, die das Verhalten eines jeden Mitwirkendenisoliert, unausweichlich zur Straflosigkeit auch des ersteren »Mittäters«, da auch er den vom Gesetz geforderten Versuchsvorsatz in Bezug auf diegesamte Straftat für sich allein nicht hat.In unserem Eingangsbeispiel, also wo der eine (A) die körperliche Gewalt ausübenund der andere (B) das Geld wegnehmen sollte, hat A für sich allein keinenvollen Tatentschluss, da er sich nicht entschlossen hat, das Geld des Opfers eigenhändigwegzunehmen. Seine Handlung wird erst mittels des Verhaltens von Bzum Versuch, wenn wir nämlich die Erwartung von A in Erwägung ziehen, dassauch B mitwirkt. Betrachten wir hingegen sein Verhalten isoliert, so können wirihn nur wegen (vollendeter oder versuchter) Nötigung (§ 240 StGB) bestrafen,nicht aber wegen versuchten Raubes.2. Darüber hinaus führt die Einzellösung zu einem weiteren absurdum: Da derErstere mangels vollen Tatentschlusses keinen Versuch beginge, wäre auch keineHaupttat vorhanden. Infolgedessen könnte das Verhalten des Zweiten nicht einmalals psychische Beihilfe qualifiziert werden. Denn auf der Basis der Einzellösungkönnen wir nicht sagen, dass das Verhalten des Zweiten eine Haupttat unterstützt,da das Verhalten des Ersteren, isoliert betrachtet, nicht täterschaftlich (stetsin Bezug auf das anvisierte gemeinsame Delikt) ist.3. Aus alledem ergibt sich, dass die Handlung beider, die sich zu einer gemeinsamenStraftat entschlossen haben, erst dann ihren vollen sozialen Sinn quarechtsgutsbeeinträchtigendem Verhalten erwirbt, wenn sie mit dem Verhalten desAnderen kombiniert wird. So hat das Verhalten des zweiten Mitwirkenden einevielfach entscheidende Bedeutung: Über seine Anwesenheit, Tatbereitschaft undKausalität für die Teilhandlung des Ersteren hinaus beeinflusst der Zweite denersteren Mittäter auch dadurch, dass erst sein Verhalten den Vorsatz des Ersterenzum täterschaftlichen Vorsatz macht. Es ist eben der zweite Mitwirkende, der denErsteren zum Täter des Versuchs macht, indem er durch »Vorsatztransfusion«1414 Diesen Ausdruck hat erstmals Androulakis (Fn 3), S. 87, in anderem Zusammenhang benutzt.z. B. den Täter der einfachen Nötigung zum Täter eines Raubsversuchs macht.Denn der Erstere versucht nicht, einen ausschließlich »eigenen« Raub zu begehen,sondern den Raub (auch) eines anderen, nämlich den Raub, bei dem dieGeldwegnahme durch einen anderen begangen werden soll. Weshalb sollen wirdann aber das Verhalten des »untätig Gebliebenen« als einfache Beihilfe oder alsrechtsneutrale Handlung bezeichnen können? Anwesenheit, Tatbereitschaft, Kausalität,aber auch – und vor allem – »Vorsatztransfusion« sind also die Tatmerkmale,die, wenn sie vorhanden sind, die Versuchsmittäterschaft auch dann begründen,wenn nur der eine mit dem Anfang der Ausführung begonnen hat, währenddie anderen noch untätig bleiben.V. Das Verhalten des »untätigen« Mittäters als unechtesUnterlassungsdelikt1. Es ist darüber hinaus nicht zu übersehen, dass der zweite Mitwirkende auchverpflichtet ist, die Handlung des Ersteren zu verhindern, und zwar wegen seinesvorangegangenen Tuns, das für das beeinträchtigte Rechtsgut gefährlich war,nämlich wegen seiner Anwesenheit am Tatort und vor allem wegen der Vereinbarungmit dem anderen, das jeweilige Rechtsgut in Arbeitsteilung gemeinsam zuverletzen.1515 Diese Auffassung, vom Verf. in: Anwendungen des Strafrechts, 1997, S. 98, unterstützt, hat heute auchGorka weiter entwickelt, in: Der Versuchsbeginn des Mittäters, 2000, S. 135 ff., 155. Ähnlich KrackZStW 117 (2005), 555 ff.Gegen diesen Gedanken ist der Einwand erhoben worden, dass auf diese Weise»alle Fälle von einfacher Beihilfe mit vorangegangenem Beitrag zur Täterschaftdurch Unterlassen umgewandelt worden wären«1616 Androulakis (Fn 3), S. 178 Fn 58.und dass aus diesem Grund dervermeintliche Versuchsmittäter im Grunde genommen einfach psychische Beihilfezu verantworten hätte. Dieses Argument ist jedoch nicht überzeugend, da, wiewir sahen, das Verhalten des Zweiten etwas mehr als einfache Beihilfe ist, denn esmacht den ersteren Handelnden erst zum Täter. Darüber hinaus stellt dieses Argumenteine petitio principii dar, da es den zweiten Komplizen von vornherein alsGehilfen konzipiert.2. Gegen die Möglichkeit, den noch untätigen Komplizen als Unterlassungsmittäterzu betrachten, der die Tat des Ersteren abzuwenden unterlässt, wird fernerdas sog. Prinzip der Eigenverantwortlichkeit herangezogen, wonach jeder für dieunerwünschten Erfolge des eigenen und nicht eines fremden Verhaltens verantwortlichsei.1717 S. Schumann, Strafrechtliches C˛ andlungsunrecht und das Prinzip der Selbstverantwortung der Anderen,1986, S. 69, 42 ff., 70.Auch wenn das vorangegangene gefährliche Tun die Verpflichtungbegründe, eine Haupttat abzuwenden, so bedeute dies keineswegs, dass diese Verpflichtungauch dann gegeben wäre, wenn dieses vorangegangene Tun in einerpsychischen Beihilfe bestünde wie die Anwesenheit des späteren Mittäters amTatort. Dem Gehilfen obliege nämlich keine Verpflichtung, Straftaten Dritter abzuwenden.1818 Christopoulos (Fn 3), S. 248.Aber auch dieser Gedanke beruht auf einer petitio principii. Denn er geht davonaus, dass das Verhalten der mitentschlossenen und zur Beteiligung bereitenPerson eine psychische Beihilfe darstelle und dass der Versuch des anderen einefremde Tat sei, also die Handlung einer dritten Person. Dies ist aber eben das postulierteErgebnis. Darüber hinaus übersieht diese Meinung auch, dass die Handlungdes Täters gerade deswegen ein Versuch ist, weil nach der Entscheidung desselbenein Teil der Gesamthandlung durch den anderen (den vermeintlichen Gehilfen)begangen werden wird. Wieso soll dann der Letztere a priori Gehilfe sein?Es bleibt also dabei, dass aufgrund der Vorschriften über Mittäterschaft die Untätigkeitdes Mitentschlossenen in Bezug auf einen Teil des Tatbestandes der Verursachungmit einem Tun i. S. einer Handlungsäquivalenz der Unterlassung gleichgestelltwerden kann.1919 Vgl. Gorka (Fn 15), S. 138, 145 ff.; ˆ Eüper ZStW 105 (1993), 295, 301; Jescheck/Weigend, § 63 ´E ´E 1;Buser (Fn 1), 72 ff.V. Unterlassungshaftung und Rücktritt vom VersuchDie Unterlassungshaftung des »untätigen« Komplizen wird des Weiteren alsunvereinbar mit den Rücktrittsvorschriften angesehen. Denn, so wird gesagt,wenn wir die Mittäterqualität des Untätigen (= des Unterlassungstäters) akzeptierten,so würden wir ihn bestrafen, weil er sein Recht, zurückzutreten, nicht ausgeübthat.2020 Es handelt sich dabei um die Argumentation des LG Rostock in der Revisionssache BGH NStZ 2003,312: Da der Rücktritt ein Recht (und keine Verpflichtung) sei, könnten wir dem Täter nicht vorwerfen,dass er nicht zurückgetreten sei.Diese Argumentation ist jedoch mit Recht auf Ablehnung gestoßen:Erstens, weil sie zu einem absurdum führt. Denn wenn man sie zu Ende denkt,dann läuft sie darauf hinaus, dass derjenige, der einen anderen zu töten versucht,und ihn dann blutend zurücklässt, keine Verpflichtung hätte, den Todeseintritt abzuwenden,da er sonst sein Rücktrittsrecht nicht ausüben könnte.2121 Krack ZStW 117 (2005), 571; vgl. Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Bd. II, 2003, § 32 Rn 193; SchneiderNStZ 2004, 92.Zweitens, weil sie das Urteil über das Begehungsdelikt mit demjenigen überdas Unterlassungsdelikt verwischt. Denn während die Regelung über den Rücktrittvom unbeendeten Versuch eine positive Handlung bewertet, ist die Unterlassung,als Nichtvornahme des gebotenen Tuns, ein Tatbestandsmerkmal des unechtenUnterlassungsdelikts, das, da es gegenüber dem Begehungsdelikt subsidiärist, vom Tun verdrängt wird und seine Selbstständigkeit erst dann wieder erlangt,wenn die Bestrafung des Tuns unmöglich ist.2222 S. Mylonopoulos (Fn 5), 66 ff.Tritt also der Täter vom versuchtenBegehungsdelikt zurück, so besteht kein Grund dafür, ihn wegen der Unterlassungzu bestrafen, da der Erfolg schon abgewendet worden ist. Wird umgekehrtder Erfolg nicht abgewendet, so hat der Zurücktretende für den Versuch zu haften,so dass auch in diesem Fall ein Begehungsdelikt vorhanden ist.Drittens: Es wird schließlich zu Recht darauf hingewiesen,2323 Christopoulos (Fn 3), S. 248.dass der Gesetzgeberdurch nichts daran gehindert wird, dem Täter ein Rücktrittsmotiv anzubieten,ihn aber gleichzeitig zu bestrafen, wenn er keinen Gebrauch davon macht.VI. Wertungswidersprüche der Gesamtlösung?1. Es ist wahr, dass gegen die Gesamtlösung manche Wertungswidersprüchevorgebracht werden,2424 Christopoulos (Fn 3), S. 241.die man erörtern müsste. Ihr gemeinsames Charakteristikumist jedoch, dass sie auf solchen Beispielen beruhen, die nur im Fall einer extremenGesamtlösung einen Sinn haben könnten. Stellen wir dagegen auf eineMittellösung ab, wonach die Anwesenheit und Handlungsbereitschaft des Mittätersvorausgesetzt wird, so dass der Anfang der Ausführung des Ersteren alsHandlungserfolg des Zweiten konzipiert wird, so geht der Einwand eines Wertungswiderspruchsins Leere.2.Im Einzelnen: a) Im Beispiel von Valdagua,2525 ZStW 98 (1986), 855.nach dem der eine vermeintlicheMittäter den Bankkassierer bedroht, während der andere erst dann ins Gebäudekommen soll, nachdem der Widerstand des Opfers überwunden ist, wird der Einwanderhoben, dass, falls der zweite Komplize nicht einmal am Tatort erscheint(etwa weil er im Straßenverkehr steckengeblieben ist), seine Bestrafung wegenversuchter Mittäterschaft völlig unbegründet erschiene. Das Bedenken gegen dieBestrafung ist einleuchtend, aber auch die Antwort auf den Einwand ist einfach:Denn hier fehlt eben die Kernvoraussetzung der versuchten Mittäterschaft, nämlichder Umstand, dass das Verhalten des Beteiligten sich vom Verhalten eines unbeteiligten,beliebigen Dritten klar unterscheidet. Infolgedessen kann hierin keinWertungswiderspruch2626 ZStW 98 (1986), 839, 855. Dagegen mit Recht Gorka (Fn 15), S. 143 ff.; Schönke/Schröder/Eser § 24Rn 77 ff.gesehen werden. Denn in diesem Fall kann der zweiteBeteiligte auch nach der (modifizierten) Gesamtlösung nicht wegen versuchterMittäterschaft bestraft werden.b) Dasselbe gilt in Bezug auf ein anderes Beispiel von Valdagua2727 Valdagua ZStW 98 (1986), 856 ff., nach dem zweiKomplizen nach gemeinsamer Vereinbarung einen Diebstahl begehen wollten, indem derErstere den Geldschrank aufbrechen wollte, während der andere erst nach einem telefonischenAnruf durch den Ersteren erscheinen sollte, um die Beute abzunehmen. In diesemFall, so wird gesagt, scheide die Gesamtlösung aus, wenn der Zweite schließlich nicht erscheint.Aber auch dieses Beispiel geht ins Leere, da auch hier weder Anwesenheit bzw.Handlungsbereitschaft des Zweiten gegeben ist noch die Tat des Ersteren als Erfolg derHandlung des Zweiten betrachtet werden kann. Darüber hinaus kann nicht übersehenwerden, dass der Tatentschluss des Ersteren schlicht auf der Hoffnung beruht, dass derandere mithandeln werde, und in Wirklichkeit keinen Entschluss in Bezug auf den vollenTatbestand darstellt. Sein Vorsatz hängt hier von einer doppelten Bedingung ab: von derEntscheidung des Ersteren, den Zweiten anzurufen, und von der Entscheidung des Zweiten,dem Anruf zu entsprechen.c) In diesem Zusammenhang wird schließlich auch der Fall BGHSt 11, 268 erwähnt.2828 Christopoulos (Fn 3), S. 245.Dabei handelte es sich um folgenden Sachverhalt: Einer von drei Dieben, die gemeinsambeschlossen hatten, notfalls von ihren Waffen Gebrauch zu machen, hatte auf eine Persongeschossen, in der irrtümlichen Annahme, es handele sich um einen verfolgenden Polizisten.In Wirklichkeit aber hatte er auf einen Komplizen geschossen, ohne ihn jedoch zutreffen. Der BGH hatte hier, der Gesamtlösung folgend, versuchte Mittäterschaft aller akzeptiert,also auch desjenigen, auf den der Schuss gerichtet war. Der logische Fehler derEntscheidung liegt jedoch nicht in der Anwendung der Gesamtlösung, sondern darin,dass der BGH einen gemeinsamen Tatentschluss aller, das vermeintliche Opfer mit eingeschlossen,akzeptiert hat, was mit dem Gesetz (geschweige denn mit der Logik) nicht vereinbarist. Dieses Beispiel ist also ungeeignet, einen Wertungswiderspruch der Gesamtlösungzu begründen.VII. Die sog. ScheinmittäterschaftAuch die Konstellationen der sog. Schein- bzw. vermeintlichen Mittäterschaftsind schließlich nicht dazu geeignet, die Unzulänglichkeit der Gesamtlösung zubegründen.1. Von Scheinmittäterschaft ist dann die Rede, wenn zur Zeit des Anfangs derAusführung mindestens ein Mithandelnder in der irrigen Annahme handelt, dassauch die anderen einen gemeinsamen Tatentschluss gefasst hätten, während diesnicht der Fall ist. Hier kann ein Versuch nur dann vorliegen, wenn der Anfang derAusführung von demjenigen verwirklicht wird, der die Tatausführung tatsächlichbeschlossen hat. Wird dagegen der Anfang der Ausführung von demjenigen unternommen,der keinen Tatentschluss gefasst hat, so kann sein Verhalten nichtauch den anderen zugerechnet werden. Denn mangels einer gemeinsamen Entscheidungkann von Mittäterschaft keine Rede sein.2929 Schönke/Schröder/Eser § 22 Rn 55 a.Würde man also in dieserFallkonstellation Strafbarkeit wegen Mittäterschaft auch für den Untätigen annehmen,so würde das auf die Bestrafung der Gesinnung hinauslaufen.2. Als Beispiele werden zwei Grundfälle diskutiert: der sog. Klingel-Fall und der sog.Münzhändler-Fall.a) Im Klingel-Fall (BGHSt 39, 236) hatten die zwei Angeklagten A und B, die ein älteresEhepaar berauben wollten, einen Dritten, C, aufgefordert, an der Tür der Wohnungder Opfer zu klingeln, damit sie (die zwei Angeklagten) gleich mit dem Öffnen der Türden Raub begehen könnten. C hatte jedoch zuvor die Polizei verständigt, die sofort einschritt,als er klingelte. Zur Zeit seiner Handlung hatte C also keinen Raubvorsatz. Deswegenkann auch von versuchter Mittäterschaft seitens des C keineswegs die Rede sein,und zwar nicht wegen eines vermeintlichen Mangels der Gesamtlösung, sondern ebenwegen mangelnden Tatvorsatzes. Denn hier fehlt die Grundvoraussetzung jeder Mittäterschaft,nämlich der gemeinsame Tatentschluss, der auch die Grundlage der gegenseitigenZurechnung des Verhaltens eines jeden Mittäters darstellt, wie allerdings der BGH treffendbemerkt hat. Der schlichte scheinbare Anfang der Ausführung, der keinen Versuchbegründet, nicht einmal für den scheinbaren Mittäter selbst, kann nicht als Anfang derAusführung den anderen zugerechnet werden. Von einer Anwendung der Gesamtlösungkönnte man erst dann sprechen, wenn das Verhalten von C auch für ihn selbst einen täterschaftlichenBeitrag darstellte.3030 BGHSt 39, 326. Mit Recht fragt sich also Krack ZStW 117 (2005), 557:Wieso kann einen mittäterschaftlichenVersuch initiieren, wer zu den Mittätern nicht einmal gehört?Dagegen ist zwar geltend gemacht worden, dass hier der mangelnde Vorsatzvon C keinen Einfluss haben könne. Denn das, was den Mittätern zugerechnetwerde, sei nicht das subjektive Merkmal des Vorsatzes, sondern das objektive Elementder Tathandlung.3131 Hauf NStZ 1994, 265. Diese vereinzelte Auffassung hat jedoch keinen Beifall in der Theorie gefunden,die im Gegenteil die BGH-Entscheidung sonst einstimmig gebilligt hat. S. z. B. Krack ZStW 117 (2005),557 und Fn 3; Küh, § 20 Rn 123 und Fn 193a; Dencker, Kausalität und Gesamttat, 1996, S. 241 ff.Dieser Einwand ist jedoch nicht überzeugend. Denn, wiegesagt, Voraussetzung der gegenseitigen Zurechnung der Handlung eines jedenMittäters ist gerade der gemeinsame Tatentschluss, der hier nicht gegeben ist. Chatte eben keinen Vorsatz in Bezug auf die gesamte Tathandlung mit gemeinsamerBetätigung, er hatte nur den Vorsatz des agent provocateur. C hatte also keinenversuchten Raub begangen, und infolgedessen kann von einer Anwendungoder Nichtanwendung der Gesamtlösung keine Rede sein. Ebensowenig kann voneiner gegenseitigen Zurechnung seines Verhaltens gesprochen werden. Hier gibtes also weder eine Abweichung vom Prinzip der gegenseitigen Zurechnung nocheine Unzulänglichkeit der Gesamtlösung. Die Schwächen der Gesamtlösungmüssten also anderswo gesucht werden.3232 S. LK/Hillenkamp § 22 Rn 175; Ingelfinger JZ 1995, 704; Gorka (Fn 15), S. 170; Krack ZStW 110(1998), 623; Bloy ZStW 117 (2005), 28.GA 2011 Versuchsbeginn und Mittäterschaft 41528b) Im Münzhändler-Fall3333 BGHSt 40, 299 = BGH NStZ 1995, 120.hatte A dem B vorgespielt, dass der Münzhändler C einenscheinbaren Raub vortäuschen wolle, um die Versicherungsentschädigung bekommen zukönnen. So hatte A den B überzeugt, gegen Belohnung einen scheinbaren Raub zu Lastenvon C zu begehen und ihm die »Beute« zu übergeben, nämlich eine Münzsammlung imWert von 350.000 DM. Dabei hatte er ihm eingeschärft, dass C nicht merken sollte, dass er(B) vom Plan des Scheinopfers Kenntnis hatte. Daraufhin wurde der Raub von B begangenund von C anschließend der Versicherung mitgeteilt. In Wirklichkeit hatte C jedoch von derVortäuschung des A keine Ahnung und wollte der Versicherung keinen Scheinraub vortäuschen.Der ganze Plan war von A ausgearbeitet worden, der B als Werkzeug benutzen wollte,um auf diese Weise die Münzsammlung des C zu bekommen, ohne ihm aber einen Schadenzuzufügen, da dieser eine befriedigende Entschädigung kassieren würde.Da hier B, mangels Vorsatzes, nicht wegen Raubes bestraft werden konnte, wurde ervom BGH wegen versuchten Versicherungsbetrugs in Mittäterschaft mit C bestraft, obwohlder Letztere überhaupt keinen Vorsatz hatte. Damit hat das Gericht eine vermeintlichebzw. putative Mittäterschaft des B angenommen, die in der Meldung des C bestandund als versuchter Versicherungsbetrug eingestuft wurde.Diese Betrachtungsweise ist erwartungsgemäß auf heftige Kritik gestoßen. Zunächsteinmal konnte das Verhalten von C keinen Versuch darstellen, weder subjektiv(der Münzhändler hatte keinen Vorsatz) noch objektiv (seine Meldung entsprachder Wahrheit).3434 Kühl § 20 Rn 123a; Krack ZStW 117 (2005), 559; ˆ Aloy ZStW 117 (2005), 3, 29; Roxin, Odersky-FS1996, S. 489; MK/Joecks § 25 Rn 81.Darüber hinaus aber fehlt es an einem (und sei es putativen)gemeinsamen Tatentschluss. B hatte mit C nichts Gemeinsames beschlossen,nicht einmal i. S. einer vorgetäuschten gemeinsamen Entscheidung. Die gesetzmäßigeMeldung des Raubes kann dem B nicht als mittäterschaftliche Versuchshandlungzugerechnet werden, auch wenn der Letztere, der durch einen Dritten(A) betrogen wurde, ihn irrig als Mittäter betrachtet.3535 Wäre sein Irrtum von ihm selbst (C) verursacht, so hätten wir einen putativen gemeinsamen Tatentschlusswie im Klingel-Fall, was ebenfalls nicht genügt, weil es nicht den Tatsachen entspricht.Die Handlung von C kannalso nicht als Grundlage für ihre gegenseitige Zurechnung zu Lasten von B dienen,nicht einmal unter Anwendung der Gesamtlösung. Infolgedessen ist es evident,dass die Bestrafung von B auf Gesinnungsstrafrecht beruht,3636 Gropengießer/Kohler Jura 2003, 277, 282; Kühl § 20 Rn 123 a.des nicht aufeinen Mangel der Gesamtlösung zurückzuführen ist.3737 Überwiegende Meinung: Ingelfinger JZ 1995, 704; Kühne NJW1995, 934; Küpper/Mosbacher JuS 1995,488, 491; Kühl § 20 Rn 123 a.3. Es wird darüber hinaus behauptet, dass die Gesamtlösung zu Ungleichheitenführe, da sie dem Komplizen, der mit der Tatausführung schon begonnen hat, dieRücktrittsmöglichkeit gewähre, während der noch Untätige nicht zurücktretenkönne und deswegen immer als Mittäter des Versuchs bestraft werde. So werdeder Letztere, der nichts getan hat, schlechter gestellt als der Erstere, obwohl dieserauf jeden Fall etwas getan habe.3838 Christopoulos (Fn 3), S. 242.Aber auch dieser Einwand ist m.E. nichtschlüssig. Denn der »untätige« Beteiligte, der anwesend ist und wartet, bis er dranist, hat jede Möglichkeit zurückzutreten, entweder, indem er sich vom Tatort entferntoder die Tat des anderen verhindert oder die Polizei oder das Opfer verständigtu. a. m.VIII. Wertungswidersprüche der EinzellösungStattdessen ist die Einzellösung mit Wertungswidersprüchen behaftet, die nichtübersehen werden können. Zunächst einmal bleibt nach dieser Auffassung derjenige,der den Komplizen beim Anfang der Ausführung benutzt, straflos, währendderjenige, der zum selben Zweck (z. B. zur Wegnahme einer Sache) ein Tier oderein mechanisches Werkzeug benutzt, problemlos als Versuchstäter strafbar ist undinsofern schlechter gestellt ist als der Andere, obwohl sein Verhalten gefährlicherist.3939 Gorka (Fn 15), S. 139 ff.Ferner läuft die Einzellösung auf ein absurdum hinaus. Denn sie akzeptiertmehrere Zeitpunkte des Versuchsbeginns, nämlich, dass der Anfang der Ausführungfür den zweiten Mittäter später beginnt, wenn der Versuch der Gesamttatschon längst begonnen hat. So bleibt sie also die Erklärung schuldig, wie es möglichsein soll, dass der Versuch einer Straftat, der schon begonnen hat, später nocheinmal (oder sogar wiederholt) beginnt.4040 LK/Hillenkamp § 22 Rn 173.IX. Lösungsversuche in Anwendung der Tatherrschaftslehre1. Ein weiterer Lösungsversuch wird schließlich mit Hilfe der sog. funktionalen Tatherrschaftslehreunternommen. Danach soll nur dann Mittäterschaft gegeben sein, wennder Mithandelnde Herrschaft in Bezug auf die gesamte Tat ausübe, d. h. wenn dessenBeitrag so wesentlich sei, dass die Ausführung der Gesamttat davon abhänge. Es wird sogarbehauptet, dass insofern jeder Mittäter zwei Arten von Tatherrschaft habe, eine positiveüber den Tatteil, den er selbst eigenhändig begehe, und eine negative über die Gesamttatin dem Sinn, dass er die Vollendung verhindern kann, indem er den eigenen Beitragunterlässt. Im Rahmen dieser Betrachtungsweise kann der Untätige keinen Versuch begehen,da er keinerlei Tatherrschaft über den Versuch des anderen hat, weder positiver nochnegativer Natur.4141 Der Mittäter, sagt Valdagua ZStW 98 (1986), 839, 870, habe die Möglichkeit, nur die eigene Tatvollendungzu verhindern (indem er den eigenen Tatbeitrag unterlasse) und nicht die Beiträge der anderen Mittäter.2. Diese Auffassung ist jedoch Einwänden ausgesetzt, die schon mehrmals betontworden sind. Zum einen wird sowohl die Unbestimmtheit als auch die Uferlosigkeitdes Kriteriums genannt. Wann und unter welchen Voraussetzungen istder Beitrag »wesentlich«? Wie ist die Mittäterschaft von der Beihilfe zu unterscheiden,die auch einen äußerst wesentlichen Tatbeitrag darstellen kann? Es bestehtalso die Gefahr einer Ausdehnung der Konturen der Täterschaft, aber aucheiner Konfusion mit der Anstiftung.Darüber hinaus darf man nicht übersehen, dass nach dieser Auffassung einMangel an positiver Tatherrschaft auch im Fall der Rollenverteilung besteht, woebenfalls jeder Mittäter nur den eigenen Tatteil positiv beherrscht. Wer z. B. dasfremde Geld erst nach Ausübung von körperlicher Gewalt durch den Mittäterwegnimmt, hat keine positive Herrschaft über die Gewaltausübung, sondern nurin Bezug auf den eigenen Tatteil. Die positive Tatherrschaft besteht also nur inBezug auf jenen Teil der Tat, der vom jeweiligen Mittäter verwirklicht wird, nichtaber in Bezug auf die gesamte Straftat. Infolgedessen ist sie zur Begründung derMittäterschaft ungeeignet.4242 Gorka (Fn 15), S. 125; Küper JZ 1979, 786.Zum anderen kann nicht darüber hinweggesehen werden, dass die negative Tatherrschaftin Wirklichkeit ein Leerbegriff ist. Denn die Tatvollendung kann jederDritte verhindern, ohne jedoch aus diesem Grunde Mittäter zu sein. Zunächst einmalkann die Tatvollendung jeder Bürger oder Polizist durch eine positive Handlungverhindern. Aber auch wenn wir darauf abstellen, dass die negative Tatherrschaftin der Unterlassung des versprochenen Beitrages besteht, so kann diesedurchaus auch der einfache Gehilfe haben, der die ganze Tat zum Scheitern verurteilenkann, indem er den eigenen Beitrag unterlässt.4343 Gorka (Fn 15), S. 126.3. Die Lehre von der sog. funktionalen Tatherrschaft sowie der Gedanke vonder positiven bzw. negativen Tatherrschaft können nach allem keine überzeugendeund dogmatisch haltbare Lösung anbieten und sind deswegen zu Recht überwiegendabgelehnt worden.X. ErgebnisseDie Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Das Verhalten des nochuntätigen, aber immerhin anwesenden Mittäters eines Versuchs kann keine psychischeBeihilfe sein. Denn wäre das so, dann könnte auch das Verhalten desjenigen, der mit seinemTatbeitrag schon angefangen hat, keinen Versuch begründen, da dessen Tatentschlussdie Handlung eines anderen beinhaltet, nämlich die des noch untätigen Beteiligten.Dementsprechend ist die Bestrafung des Komplizen, der mit seinem Tatbeitrag begonnenhat, nur auf der Grundlage der Prinzipien der Mittäterschaft möglich, nämlichnur, wenn wir davon ausgehen, dass beide die gemeinsam beschlossene Tat (die gemeinsameTat) begonnen haben. Gehen wir dagegen davon aus, dass keine gemeinsame Tat,sondern nur der Versuch des Ersteren begonnen wurde, so ist nicht einmal dessen Bestrafungmöglich. Auf der Grundlage der Einzellösung kann also nicht einmal derjenige wegenVersuchs bestraft werden, der mit seinem Tatbeitrag begonnen hat. Der einzig gangbareWeg ist infolgedessen die Bestrafung auch des scheinbar Untätigen wegen versuchterMittäterschaft, wenn die schon erwähnten Voraussetzungen vorliegen: Anwesenheit,Handlungsbereitschaft, Kausalität und »Transfusion« des Vorsatzes.