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Die „Vernunft des rechtstreuen Bürgers“ als Freiwilligkeitskriterium beim Rücktritt vom unbeendeten Versuch

I. Einleitung

Der Begriff der Freiwilligkeit beim unbeendeten Versuch stellt eine sehr heikle Problematik dar, die trotz der zahlreichen Bemühungen zu deren Erklärung, kaum eine befriedigende Behandlung erfahren hat. Die Gründe dafür sind mehrere: Der erste liegt in der Unzulänglichkeit der bisher vorgeschlagenen Theorien zur begrifflichen Konzipierung der Freiwilligkeit. Der zweite aber liegt darin, dass zahlreiche Fälle, die unter der Rubrik der Freiwilligkeit behandelt werden, in Wirklichkeit der Problematik eines logisch vorausgehenden Stadiums gehören, nämlich dem Begriff der Tataufgabe sowie dem des fehlgeschlagenen Versuchs.

1. Die Unzulänglichkeit der vorgeschlagenen Theorien

Zunächst einmal ist man mit dem Begrifflichen Inhalt und die Methode der Freiwilligkeit nicht zu einem befriedigenden Ergebnis gekommen. So wurde bekanntlich die ältere psychologische Theorie („ich will nicht, obwohl ich kann“)

Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. § 46 II. Dieser Theorie folgt praktisch in der Regel auch der griechische Kassationshof. S. z.B. Areopag 1513/2002, Poiniki Dikaiosyni 2003, 1184, Areopag 993/2001, Poinikos Logos 2001, 1102.

wegen Unbestimmtheit verlassen, da die Grenzen zwischen dem „Können“ und dem „Wollen“ erheblich flüssig sind.

Beispiel: Der Dieb verlässt das Einbrechen sobald seine Ehefrau per Mobiltelephon ihn alarmiert, dass ihr Kind sich in Lebensgefahr befindet. Hat er die weitere Tatausführung aufgegeben weil er „nicht will“, obwohl er objektiv den Diebstahl vollenden kann, oder weil er „nicht kann“ wegen seines unwiderstehlichen seelischen Drucks?

Aber auch die neuere psychologische Theorie, die auf die Autonomie der Entscheidung des Täters abstellt („freiwillig sei der Rücktritt wenn der Versuchende noch Herr seiner Entscheidungen sei“), 

Jescheck-Weigend, Lehrbuch S. 554, Lilie-Albrecht LK 12. Aufl. § 24 Rdn. 158, Schönke-Schröder-Eser § 24 Rdn. 43, Vogler LK 11. Aufl. § 24 Rdn. 86.

ist nicht nur eine Tautologie, sondern gerät auch zu Schwierigkeiten, da die exakte Unterscheidung zwischen autonome und heteronome Entscheidung praktisch unmöglich ist. Angesichts allerdings der Tatsache, dass jeder Rücktritt sich auf eine Entscheidung beruht, übersieht die neuere psychologische Theorie die deontische Dimension der Freiwilligkeit und misst dem Begriff der Freiwilligkeit einen sozusagen „psychometrischen“ Charakter, der die Autonomie nur dann ausschließt, wenn die Entscheidungsmöglichkeit des Täters mehr oder weniger ausgeschlossen ist.

Bottke, Strafrechtswissenschaftliche Methodik und Systematik bei der Lehre vom strafbefreienden und strafmildernden Täterverhalten, 1979, 469.

Die Nachteile der psychologischen Theorien versuchen die sog. Wertungstheorien zu vermeiden, die auf die Motive des Täters und die juristische Qualität seines Verhaltens abstellen. So betrachten manche Autoren den Rücktritt dann als freiwillig, wenn die Tataufgabe sich als Manifestation einer hinreichenden Bereitschaft des Täters erscheine, zum rechtstreuen Verhalten zurückzukehren

Walter, Der Rücktritt vom Versuch als Ausdruck des Bewährungsgedankens im zurechnenden Strafrecht, 1980, 67 ff., 81 ff.

Oder aber wenn die Qualität seiner Motive sich der „inneren Moral“ des Rechts entspreche. 

Bockelmann, NJW 1955, 1420.

Nach dieser Version der Wertungstheorien wird der Zurücktretende für seine moralische Umkehr prämiert, die auf diese Weise sich zur wesentlichen Voraussetzung für die Anerkennung des Rücktrittsprivilegs aufgehoben wird.

Auch die Wertungstheorien haben in Griechenland Anhänger gefunden. S. z.B. Gericht 1. Instanz von Serres, 15/2003, Poinikos Logos 2003, 384 („die Versuchshandlung bleibt straflos als Prämierung des Täters der… seine Gewissensstimme gehört hat“), Gericht 1. Instanz von Kastoria, 120/1998, Poinika Chronika 1999, 265.

Zu den Wertungstheorien muss auch die Lehre Roxins gerechnet werden, die die sog. Verbrechervernunft als Basis der Freiwilligkeit betrachtet. Danach sei der Rücktritt freiwillig wenn er den Verbrechervernunft nicht ausdrückt, d.h. wenn er den Regeln eines hemmungslosen, erfahrenen und verhärteten Verbrechers wiederspreche, auch wenn er nicht auf edle Motive zurückzuführen sei. 

Roxin, Heinitz Festschr. 251. Diese Lehre Roxins hatte eine beeindruckende Resonanz in Griechenland: Androulakis, Strafrechtliche Abhandlungen, 1972, 48 (schon aufgegeben: s. ders. Strarecht, AT II 2004, 93 ff.,), Mangakis, Strafrecht, AT 3. Aufl. 1984, 393, Charalambakis, Poin. Chron. 1989, 456.

Der Haupteinwand der gegen diese Auffassung vorgebracht wird liegt in des flüssigen Charakter des Kriteriums da solche, allgemein gültige verbrecherische Regeln objektiv nicht formuliert werden könnten. Einen Verbrechertypus mit bestimmtem Verhaltensvorbild und konkrete Regeln der „Verbrecherzunft“ seien nicht einfach zu formulieren.

Vgl. Ulsenheimer, Rücktritt, 306, Wessels-Beulke, Strarecht, AT 220, Stratenwerth-Kuhlen, Strarecht, AT § 11 Rdn. 88, Androulakis, Strafrecht, AT II, 93 ff.

In der Tat, es ist nicht zu übersehen, dass das Kriterium der „Verbrecherverfunft“ zu willkürlichen Auslegungen führen kann. Dies ist z.B. aus dem folgenden Fall ersichtlich: 

Strafgericht 1.Instanz von Orestias, 2/2004, Poiniki Dikaiosyni 2004, 1223.

Der Vergewaltigungstäter gab die weitere Tatausführung auf, sobald die angegriffene Frau ihn mahnte, sie leide an einer ansteckenden Krankheit. Das Gericht hat ihm freiwilligen Rücktritt anerkannt und ihn freigesprochen, indem es das Kriterium der Verbrechervernuft anwendete. Nach seiner Begründung habe ein „richtiger“ Verbrecher keine Empfindlichkeiten; er schäme sich nicht und habe keine Angst. Nach der Logik der Entscheidung habe also der „richtige“ Verbrecher keine Angst, an einer ansteckenden Krankheit zu leiden, so dass, im konkreten Fall, die Angst des Täters angesteckt zu werden Zeichen dafür sei, dass er der „Verbrecherzunft“ nicht gehöre.

Angesichts dieser Schwierigkeiten wird von anderen Autoren auf den Gebrauch von komparativen Begriffen abgestellt (sog. Kriterium der Risikoerhöhung).

Kühl, Starrecht, § 16 Rdn. 57. Zur Bedeutung der komparative Begriffe für das Strafrecht s. Mylonopoulos, Komparative und Dispositionsbegriffe im Strafrecht, München 1998.

Danach sei der Rücktritt nicht freiwillig, wenn die weitere Ausführung der Tat eine größere Gefahr als deren Aufgabe darstellt. Bleibe dagegen die Gefahr dieselbe, so sei der Rücktritt freiwillig (z. B. wegen plötzlicher Beleuchtung der Straße gibt der Einbrecher den Versuch auf, in die fremde Wohnung einzudringen). Aber auch dadurch werden die Schwierigkeiten nicht vermieden. So gibt es Fälle wo der Freispruch wegen Rücktritts fragwürdig scheint, obwohl keine höhere Gefahr die weitere Tatausführung begleitet, während in anderen Fällen, umgekehrt, trotz erhöhter Gefahr, vieles dafür spricht, dass die Aufgabe nicht zu missbilligen ist.

Im berühmten Fall, z.B., wo der Ehemann die Tötung des Liebhabers verließ, um sich an die Gattin zu wenden (BGH St 35, 184), ist keine Gefahr, geschweige denn eine höhere, eingetreten. Seinen Rücktritt jedoch als freiwillig zu betrachten scheint fragwürdig. Gibt nun der Täter den Vergewaltigungsversuch deswegen auf, weil ihn das Opfer anerkennt (Lilo-Fall, BGH St 9, 48), so ist die Freiwilligkeit nicht logisch ausgeschlossen, da sich der Rücktritt durchaus auf Scham oder Gewissensbisse zurückzuführen sein kann, obwohl in einem solchen Fall die Festnahmegefahr ersichtlich höher ist.

2. Vorfragen des Freiwilligkeitsbegriffs. Der fehlgeschlagene Versuch und der Begriff der Tataufgabe

Der zweite Grund der Unklarheiten in unserer Problematik liegt wie gesagt darin, dass der Begriff der Freiwilligkeit beim unbeendeten Versuch öfters als rein subjektives Element behandelt wird, das prima facie unabhängig von der Erfüllung der objektiven Rücktrittsmerkmale zu beurteilen ist. Bei näherem Zusehen wird jedoch festgestellt, dass dies nicht der Fall ist. Öfters werden nämlich Fälle des fehlgeschlagenen Versuches oder des Aufgabebegriffs als Freiwilligkeitsfragen gesehen. Eine befriedigende Auseinandersetzung mit unserer Problematik setzt also die Beantwortung einer logisch vorausgehenden Frage voraus, nämlich: gehören alle zur Erörterung stehenden Fälle zur Freiwilligkeitsproblematik? Oder aber stellen sie in Wirklichkeit Aspekte einer Problematik die zu einem logisch früheren Stadium gehört?

Zur begrifflichen Erklärung der Freiwilligkeit muss also zuerst erklärt werden, welche Fälle schon nicht als Freiwilligkeitskandidaten a priori ausgeschlossen werden sollten, eben weil sie keinen Fall von Aufgabe der weitern Ausführung der Tat oder aber einen fehlgeschlagenen Versuch darstellen. Denn nur wenn eine Aufgabe der weiteren Tatausführung vorhanden ist und nur wenn von keinem fehlgeschlagenen Versuch die Rede sein kann, ist es möglich, in die Freiwilligkeitsproblematik einzutreten. 

II. Vom Begriff des fehlgeschlagenen Versuchs

Ein Rücktritt vom Versuch setzt schon begriffsnotwendig die Möglichkeit dieses Rücktritts voraus. Ein Rücktritt der nicht entstehen kann, kann auch nicht bestehen. Die logische Möglichkeit des Rücktritts ist somit eine immanente Voraussetzung dieses Begriffs. Es gibt jedoch Versuchsfälle, von denen der Täter unmöglich zurücktreten kann. In diesem Fall ist bekanntlich vom fehlgeschlagenen Versuch die Rede. Die exakte Begriffliche Erfassung des fehlgeschlagenen Versuchs stellt somit eine entscheidende Voraussetzung für das Verständnis des Rücktritts und dessen Freiwilligkeit dar. Denn nur im Falle eines Versuchs, der noch aufgegeben werden kann, können die Vorschriften vom Rücktritt vom unbeendeten Versuch Angewendet werden. Die Aufgabe der weiteren Tatausführung setzt also einen Versuch vor, der noch nicht endgültig fehlgeschlagen ist.

Fehlgeschlagen ist bekanntlich der Versuch wenn der Täter glaubt dass die weitere Ausführung der Tat und die Tatvollendung unmöglich sind. Von Bedeutung ist nämlich nicht, ob die weitere Ausführung und die Tatvollendung tatsächlich unmöglich sind, sondern nur ob der Täter daran glaubt. Ein Dieb kann infolgedessen auch dann von einem unbeendeten Versuch zurücktreten, wenn er in der fremden Wohnung das weitere Suchen nach Beute aufgibt, in der irrtümlichen Überzeugung dass es doch wertvolle Sachen dort irgendwo stecken, obwohl dies Wirklichkeit nicht zutrifft. Der Grund für die subjektive Natur der Kriteriums liegt darin, dass nur wenn der Täter tatsächlich glaubt, dass er die Tatvollendung nicht mehr herbeiführen kann, auch nicht imstande ist, aufzuhören, diese zu wollen. Faktisch gesprochen liegt es allerdings nahe, dass in meisten Fällen die Vorstellung des Täters von der Wirklichkeit richtig ist.

Kühl, AT 5. Aufl. § 16 Rdn. 11, Schönke-Schröder-Eser StGB-Kommentar, § 24 Rdn. 7, Vgl. Lilie-Albrecht, LK § 24 Rdn. 84, Lackner-Kühl, § 24 Rdn. 10.

So ist ein Versuch fehlgeschlagen, wenn der Täter, mindestens davon überzeugt ist, dass er diesen weder weiterführen, noch aufgeben kann. 

Vgl. Roxin, AT Bd. II § 30 Rdn. 11. 

Denn einen Vorsatz, den man nicht verwirklichen kann, kann man auch nicht aufgeben.

Jescheck-Weigend, § 51 II 6.

Wenn also vom fehlgeschlagenen Versuch die Rede ist, so wird derjenige Versuch gemeint, der nach der Vorstellung des Täters endgültig misslungen ist. Dieser wird also dem noch nicht endgültig fehlgeschlagenen Versuch und nicht etwa einem „gelungenen“ gegenübergestellt. Denn einen „gelungenen“ Versuch schon begriffsnotwendig nicht gibt. Letzterer wäre eine contradictio in adjecto.

In der Regel ist ein Versuch fehlgeschlagen (und der Rücktritt ausgeschlossen) wenn die weitere Tatausführung und -vollendung deswegen unmöglich ist, weil der Tatmittel oder das Tatobjekt das weitere Handeln hindern. Dies ist z.B. der Fall wenn A den Sprengstoff entzündet, dieser aber nicht explodiert, wenn B den langhaarigen C von hinten angreift, um eine Vergewaltigung zu verüben, in der irrigen Annahme, letzterer sei eine Frau, von seiner Handlung aber Abstand nimmt, sobald er die Wirklichkeit begreift, oder aber wenn D die einzige Kugel gegen sein Opfer abfeuert, ohne es tu treffen.

Lilie-Albrecht, LK 12. Aufl. § 24 Rdn.118 ff., 130 ff., Roxin Bd. II § 30 Rdn. 86 ff., Rudolphi SK § 24 Rdn. 29, Tröndle-Fischer § 24 Rdn. 10. Es ist selbstverständlich, dass diese Fallgruppen nicht zum Schluss führen dürfen, dass ein Rücktritt nur in Bezug auf den tauglichen Versuch möglich ist. Zurücktreten kann man ebenso gut vom untauglichen Versuch, so wenn z.B. der Täter aus Versehen ins Glas kein Gift sondern eine harmlose Substanz mit dem Getränk einmischt, rechtzeitig aber zurückkehrt, bevor es ihm einzureichen: Vgl. BGH NStZ 2000, 41.

Dabei handelt es sich um keine fraglichen Fälle, die mit der Freiwilligkeitsproblematik zu tun hätten. Hier ist es evident, dass schon begriffsnotwendig keine Rücktrittsmöglichkeit vom Versuch geben kann. Denn nach dem Entzünden des Sprengstoffes oder dem Abfeuern der einzigen Kugel einen Versuch gibt, von dem man zweifellos nicht zurücktreten kann, weder in dem Sinne dass man weiterhandeln, noch in dem Sinne dass man den Erfolg verhindern kann (da z.B. die Kugel das Ziel nicht getroffen hat).

Darüber hinaus gibt es jedoch Fälle, in denen es zweifelhaft ist, ob es sich um fehlgeschlagenen Versuch oder um unfreiwilligen Rücktritt handelt. In diesen Fällen, also, ist es nicht klar, ob man die weitere Ausführung der Tat aufgegeben hat, obwohl es ihm möglich war, sie weiter auszuführen, oder aber der Versuch fehlgeschlagen war, so dass es eine Aufgabe nicht möglich war. Solche Fälle tauchen in der Regel dann auf, wenn der Täter die weitere Tatausführung deswegen aufgibt, weil ihm die Vollendung nachträglich irrelevant geworden ist, oder wenn die Tatvollendung aus rechtlichen Gründen nicht mehr möglich ist. 

Beispiele des ersteren Fallgruppes: Der Täter, dem auf die Erlangung von 10.000 Euro ankommt, die weitere Begehung des Diebstahls aufgibt, weil im eingebrochenen Koffer nur 100 Euro zu finden sind (BGH St 4,56, Lilie-Albrecht, LK 12. Aufl. § 24 Rdn. 130 ff., Kühl, § 16 Rdn. 15), oder von der weiteren Vergewaltigungshandlungen Abstand nimmt, wenn er die Menstruation des Opfers feststellt (BGH St 20, 279, der fehlgeschlagenen Versuch angenommen hat, so ebenfalls Roxin, Bd. II, 513).

Beispiele des zweiten Fallgruppes: Der Diebstahlstäter ignoriert das Einverständnis des Gewahrsamsinhabers (Bottke, Misslungener oder fehgeschlagener Versuch bei irrig angenommenem Einverständnis? JZ 1994, 71, Ulsenheimer, Grundfragen des Rücktritts vom Versuch in Theorie und Praxis, 1976, 328).

Wie man sieht, kann man von Freiwilligkeit nicht sprechen, wenn der Versuch fehgeschlagen ist. Das Hauptproblem liegt darin: wann ist der Versuch fehlgeschlagen? Dabei ist von entscheidender Bedeutung die Frage, ob man auch dann die weitere Tatausführung aufgeben kann, wenn man, trotz Misslingen der ersten Ausführungshandlung, noch unmittelbare Möglichkeit hat, seine Tat weiterzuführen, um die Tat zu vollenden, oder ob es in diesem Fall schon ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Bildlich gesprochen: Können wir von Aufgabe der weiteren Tatausführung auch dann sprechen, wenn der Täter, der 8 Patronen in seiner Pistole hat, schon nach dem Abfeuern der ersten Kugel aufhört, obwohl er die Möglichkeit hat, unmittelbar auch die übrigen 7 zu schießen, oder ist in diesem Fall schon der Rücktritt von einem unbeendeten Versuch ausgeschlossen? Mit anderen Worten: liegt in diesem Fall ein fehlgeschlagener Versuch vor? Oder aber handelt es sich um einen sozusagen „protrahierten“ Versuch, der solange dauert, wie der Täter die Möglichkeit hat, weitere Tathandlungen auszuführen, so dass erst die Gesamthandlung den Versuch ausmacht, von dem der Täter jederzeit zurücktreten kann? In unserem Schulbeispiel würde der Versuch noch bis zum Abfeuern der letzten Patrone dauern, und eine Aufgabe wäre bis zu diesem Zeitpunkt durchaus möglich.

Die praktische Bedeutung der der Frage liegt auf der Hand: Ist die erste Teilhandlung schon ein fehlgeschlagener Versuch, so ist ein Rücktritt nicht mehr möglich und die weitern Teilhandlungen stellen selbständige Versuchshandlungen dar, die in Scheinkonkurrenzverhältnis zur ersteren stehen. Stellt sie aber keinen fehlgeschlagenen Versuch dar, so ist sie schlicht Teil eines noch fortgeführten, noch nicht vervollständigten und damit noch nicht beendeten Versuchs, den der Täter nach Belieben aufgeben kann und der in der Wiederholung nicht nur gleichartiger sondern auch ungleichartiger Teilhandlungen bestehen könnte.

Zur Beantwortung dieser Frage wurden bekanntlich zwei Hauptansichten vorgeschlagen, die sog. Gesamtbetrachtungslehre und die Einzelakttheorie. Daneben könnte man als eine vermittelnde Auffassung, die sog. Tatplantheorie nennen. 

1. Die Gesamtbetrachtungslehre 

der ersteren, der Gesamtbetrachtungslehre, müssen alle Einzelhandlungen des Versuchenden als ein Gesamtereignis konzipiert werden, das in seiner Gesamtheit gewertet werden sollte, da sie nach der natürlichen Lebensbetrachtung als Einzelteile einer organischer Gesamtheit sind. Nach dieser Lehre gebe also, im Falle eines „vorläufigen Fehlschlages“

Μurmann, Versuchsunrecht und Rücktritt, 1999, 44.

des Versuchs, immer die Möglichkeit des Fortführens des deliktischen Unternehmens, entweder mit gleichartigen oder aber sogar mit ungleichartigen Teilhandlungen, unter der einzigen Voraussetzung, dass sie einem direkten zeit-örtlichen Zusammenhang gehören und nach natürlicher Auffassung eine natürliche Handlungseinheit bilden

Roxin II § 30 Rdn. 182 ff., Stratenwerth-Kuhlen § 11 Rdn. 176, Kühl § 16 Rdn. 18 ff., 27 ff., Krey II, Rdn. 470.

oder mindestens einem einheitlichen Lebensereignis gehören.

Fahrenhorst, NStZ 1987, 278, Kadel, JR 1987, 117, BGH St 41, 368 m.Anm. Beulke-Satzger, NStZ 1996, 432, BGH St 40, 75, 39, 221 (GrS), Jescheck-Weigend § 51 II 3ff.

Da also nach dieser Auffassung ein einheitliches Ereignis einen Versuch darstelle, auch wenn es aus mehreren Teilhandlungen bestehe, so wird der Versuch erst dann fehlgeschlagen, wenn nach Gesamtbetrachtung, der Täter alle ihm bekannten Möglichkeiten zur Tatvollendung erfolglos erschöpft habe. Bis zu diesem Zeitpunkt ist sein Versuch noch unbeendet und ein Rücktritt, der auch freiwillig sein kann, durchaus akzeptabel. 

Kuhl § 16 Rdn. 22, Rudolphi, § 24 Rdn. 12b. Ein bekanntes Beispiel ist der sog. „Benzin-Fall“, BGH NStZ 1986, 265: Der Täter hatte seine Ehefrau mit Benzin gegossen, um sie zu töten. Da seine Anstrengungen ihr Feuer zu legen erfolglos blieben, versuchte er, ebenfalls vergeblich, das in den Garten geflohene Opfer zu erwürgen. Nach der Gesamtbetrachtungstheorie Rücktritt von einem unbeendeten Versuch, der auf seine Freiwilligkeit hin geprüft werden kann.

Es liegt auf der Hand, dass der wichtigste Nachteil dieser Lehre darin liegt, dass danach der hemmungslose und gefährlichste Täter prämiert wird, auch wenn er eine große Zahl von Versuchshandlungen verübt hat. Während nämlich derjenige, der mit Tötungsvorsatz seine einzige Patrone erfolglos abfeuert, wegen (fehlgeschlagenen) Versuchs strafbar bleibt, genieße der entschiedene Täter, der mit 10 Patronen seinen Tötungsplan unterstützt, die Regelung des § 24 StGB, wenn er nach dem Abschuss der 9 vor dem Abfeuern der letzten seinen Tatplan aufgibt.

Geilen, JZ 1972, 332, Jakobs, 26/14, Ranft, Jura 1987, 527, Ulsenheimer Grundfragen, 235.

2. Die Einzelakttheorie

Νach der entgegengesetzten Einzelakttheorie, hingegen, stell jede Teilhandlung, die vom Täter als vollendungsgeeignet betrachtet wird, einen selbständigen fehlgeschlagenen Versuch dar, von dem er nicht mehr zurücktreten kann. Dabei sei jeder neue Vollendungsversuch ein neuer Versuch und keine Erneuerung des schon begonnenen. Infolgedessen sei die Unterlassung weiterer Teilhandlungen keine Aufgabe i.S. des § 24 StGB, kein Verlassen eines begonnenen aber noch nicht vervollständigten (nicht beendeten) Versuchs, sondern schlicht das Nichtausführen eines neuen selbständigen Versuchs.

Schönke-Schröder-Eser § 24 Rdn. 10, Bergmann, ZStW 100, (1988) 340, Gutmann, 1963, 92, Jakobs, 26/15, ders. ZStW 104 (1992) 89, Ulsenheimer 1976, 150, 217, 230, ders., JuS 1984, 852, Burkhardt, Der Rücktritt als Rechtsfolgenbestimmung, 1975, 17, Geilen, JZ 1972, 335, Heintschel-Heinegg, ZStW 109 (1997) 29, sowie die ältere Rspr., z.B. BGH MDR 1956, 394.

Infolgedessen könne die schon entstandene Gefahr durch eine nachträgliche Handlung nicht aus der Welt geschaffen. Ebensowenig könne das Unterlassen weiterer Teilhandlungen die schon begangene Versuchshandlung nicht entwerten und sie zur Straffreiheit führen.

Kudlich, JuS 1999, 240.

Zur Rechtfertigung dieser Ansicht wird das Argument vorgeberacht, dass sie eine wenn auch nur theoretische Gelegenheit dem Opfer anbiete, im letzten Moment gerettet zu werden, wenn der Täter non allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht Gebrauch gemacht hat. 

Kühl § 16 Rdn. 20.

Dieser Gedanke genügt jedoch nicht zur Untermauerung der Einzelakttheorie. Denn der Preis ist zu hoch, da sie zum einen den Täter rückwirkend für alle seine früheren Versuche freispricht, zum anderen, aber, ihm erlaubt, straflos auf seine verbrecherische Absicht zu beharren, bis auf die letzte Versuchshandlung. Es kann also hingenommen werden, dass die Rechtsordnung einer hypothetischen Erpressung des Täters nachgibt. Darüber hinaus aber erklärt diese Ansicht nicht, warum die Einzelhandlungen nicht schon als eigenständige Versuchshandlungen qualifiziert werden könnten, zumal sie zweifellos als solche Versuchshandlungen hätten betrachtet werden, wenn ihre Unterbrechung nicht der Täter selbst sondern ein Dritter hervorgerufen hätte. Somit gerät die Einzelakttheorie zu einer Ausweglosigkeit, da sie zur Ergebnis kommt, dass ein und dieselbe Handlung zwar eine juristisch gesehen selbständigen Versuch darstellt, wenn sie durch eine außerhalb des Täters liegende Ursache unterbrochen wird, einen unselbständigen Teil eines weiteren Versuches, jedoch, wenn sich der Täter entschließt, nicht mehr weiter zu handeln. Wenn also der Täter, dessen Pistole 6 Kugeln enthält, nach dem ersten erfolglosen Schuss gegen das Opfer durch Dritte behindert wird, so hat er einen normalen Tötungsversuch verübt, wenn er hingegen er selbst nach dem 5., ebenfalls erfolgslosen Schuss sein Anliegen verlässt, so ist der erste nur unselbständiger Teil eines unbeendeten Versuchs.

3.Die Tatplantheorie

Einen Mittelweg scheint die dritte, ältere Theorie anzubieten, die sog. Tatplantheorie, die nach dem ursprünglichen Plan des Täters unterscheidet. Wollte er sich nur bei der ersten Handlung bewenden und hat er sich erst nach deren Scheitern zu den weiteren Teilhandlungen entschlossen, so stelle jene erste Versuchshandlung einen selbständigen Versuch dar, von dem er nicht zurücktreten kann. Hatte er hingegen die Absicht, alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu erschöpfen, so stelle das Verlassen dieser eine Aufgabe dar und somit einen Rücktritt von unbeenteten Versuch dar.

So z.B. BGH St 4, 180; 22, 176. 

Wie es mit dem ersten Blick ersichtlich ist, funktioniert diese Theorie manchmal als die Gesamtbetrachtungslehre, manchmal aber als die Einzelakttheorie, je nachdem, welchen Plan der Täter erfasst hatte, so dass sie den Bedenken beider Ansichten ausgesetzt ist. Darüber hinaus, aber, gelingt diese Auffassung zu einem Wertungswiderspruch: Denn danach wird der methodisch Handelnde, voraussehender bzw. hemmungsloser (und deswegen gefährlicher) Täter besser als der Zustandstäter gestellt, der nur eine Begehungsweise geplant hat und erst nach dessen Scheitern, einen anderen Vollendungsweg wählte. Auf diese Weise führt sie aber praktisch jeden Versuch zur Straflosigkeit, da sie den Täter zur (nicht leicht widerlegbare) Behauptung führt, dass sein ursprünglicher Tatplan mehrere, sogar unübersehbare Begehungsweise erhalten hatte.

Kudlich, JuS 1999, 243, Androulakis, Stafrecht, AT II, 74.

4. Stellungnahme

Beginnen muss man vom Wortlaut des Gesetzes, wonach von Rücktritt von unbeendetem Versuch erst dann geredet werden kann, wenn der Täter „die weitere Ausführung der Tat aufgibt“. Das Wort „aufgibt“ ist somit entscheidend. Begriffliche Voraussetzung und charakteristisches Kennzeichen des „Aufgebens“, mit der Straflosigkeit immanent verbunden, ist der Umstand, dass der Täter die weitere Entwicklung der Dinge und zwar bis auf die letzte Einzelheit, unter Kontrolle hat. Einen Zusammenhang aufgeben, den man nicht kontrolliert, ist sinnlos. Denn aufgeben kann man nur was man unter Kontrolle hat. Wie Eser treffend bemerkt, sei der Versuch schon dann fehlgeschlagen, wenn der Täter einen Kausalzusammenhang so in Gang gesetzt hat, dass er im Fall eines Scheiterns, den Erfolgseintritt nicht mehr verhindern konnte.

Schönke-Schröder-Eser § 24 Rdn. 10.

Das Abfeuern der Kugel, z.B., die das Opfer nicht trifft, wird vom Täter nicht mehr kontrolliert, ist ein Zusammenhang der nicht mehr verlassen oder verhindert werden kann. Nach dem Abdrücken des Drückers verliert der Täter jegliche Kontrolle über die Entwicklung des Werdegangs, den eben deswegen auch nicht mehr „aufgeben“ kann.

In diesem Zusammenhang erweist sich als sehr brauchbar das sog. „last act test“, das im Rahmen des englischen Strafrechts entwickelt worden ist.

Ashworth, Principles of Criminal Law, 5. Aufl. 2006, 450 ff.

Danach gehöre in den atypischen Versuchsfällen mindestens der letzte Teilakt des Handelnden dem objektiven Tatbestand mit Sicherheit, so dass er auch als Basis für die Einbeziehung auch anderer, mit ihm eng verbundenen Teilakten, dienen könne. Das Abdrücken des Drückers, z.B. sei als „last act“ des Tötungsversuchs Bezugspunkt für die vorangegangenen Teilhandlungen des Täters Aufheben der Pistole, Abzielen usw.

Aus den obigen Überlegungen folgt, dass ein Geschehenszusammenhang, der Ereignisse enthält, die vom Täter nicht kontrolliert sein können und in Bezug worauf keine „Aufgabe“ mehr möglich ist, schon begriffsnotwendig keinen unbeendeten Versuch darzustellen vermag, auch wenn er nach den sozialen Auffassungen des täglichen Lebens eine natürliche Handlungseinheit bildet. Die Bahn der abgefeuerten Kugel, z.B., kann der Täter nicht aufgeben. Im Stadium des unbeendeten Versuchs befindet sich der Täter nur insofern als er die weitere Entwicklung der Tatsachen dominierend aufgeben kann, d.h. insofern er den Kausalzusammenhang disponieren kann.

In diesem Zusammenhang ist es aufschlussreich, dass der Fall, wo der erste Versuch misslingt, der zweite aber zur Vollendung kommt, immer als Fall von Scheinkonkurrenz zwischen Versuch und Vollendung beurteilt wird und niemals als eine vollendete Straftat, in deren Gang auch die vorausgegangene (misslungene) Handlung als unselbständiger Teilakt mitgerechnet wird. Deswegen hat auch niemand die Aussicht vertreten, das in der obigen Konstellation der ersten (misslungenen) Handlung keine juristische Identität zukomme und dass sie keine (schein-) konkurrierende Handlung darstelle.

Aus dem gesagten folgt, dass der Versuch bis zu dem Zeitpunkt unbeendet ist, zu dem der Täter den letzten Teilakt unternommen hat, der unter seine Kontrolle noch steht (“last act“), also bis zur Handlung nach der er den Kausalzusammenhang nicht mehr steuern kann (z.B. Abdrücken des Drückers). Nach dieser Handlung entzieht sich der Versuch der Kontrolle durch den Täter, so dass, wenn der „last act“ Erfolg hätte, so wäre der Rücktritt nur mit positivem Zutun des Täters möglich, d.h. nur mit Verhinderung des Erfolgseintritts. Der Versuch wäre also beendet.

Die Zahl der weiteren Handlungen, die dem Täter, seiner Vorstellung nach, zur Verfügung stehen, ist nach dem Ausführen der „last act“ juristisch irrelevant. Denn Kriterium der Beendigung oder nicht- Beendigung des Versuches ist nicht diese Zahl, sondern die Möglichkeit des Täters den Kausalzusammenhang, der unter seine Kontrolle steht, zu verlassen, d.h. „aufzugeben“. Kriterium nun dieser Aufgabe ist der „last act“ des Versuchs: das Abdrücken des Druckers beim Schießen, das Werfen des gefeuerten Streichholzes beim Brandsetzen usw. Da mit dem „letzten Akt“ der Täter den Kausalzusammenhang nicht mehr zu steuern vermag, hört auch seine Möglichkeit auf, die Ausführung „aufzugeben“. Denn einen Zusammenhang kann ich aufgeben nur insofern ich ihn auch disponieren und kontrollieren kann. Wird die Gefahr, die ich mit meinem „last act“ gesetzt habe, nicht verwirklicht (der Schuss geht vorbei) so ist dies nicht auf meine „Aufgabe“ zurückzuführen, sondern auf den Zufall. Zufall und Aufgabe sind aber miteinander unvereinbar.

Ergebnis: Das Ende des Versuchs ist der letzte Akt („last act“). Nach ihm ist keine Aufgabe möglich (da der Täter den Kausalzusammenhang nicht mehr steuern kann) und der Versuch wird beendigt.

5. Die Erreichung des Täterzweckes als besonderer Fall des fehlgeschlagenen Versuchs

Ein besonderer Fall des fehlgeschlagenen Versuchs liegt m.E. auch dann vor, wenn der Täter handelt, um einen weiteren, außerhalb des Tatbestands liegenden, Zweck zu erreichen, seine Tätigkeit aber aufgibt, sobald dieses Ziel erreicht wird, eben weil nach der Erreichung des Zieles er kein Anliegen mehr für die Vollendung der Straftat hat 

Beispiele: Der Täter hört auf gegen den ihn verfolgenden Polizisten zu schießen, sobald letzterer die Verfolgung aufgibt. Der Erpresser hört auf, den Geschäftsinhaber zu prügeln, sobald das Opfer seinen Ansprüchen nachgibt.

Obwohl in diesen Fällen, insbesondere vom BGH, unterstützt wird (BGH St 39, 221), dass Rücktritt möglich ist, do dass die Freiwilligkeitsfrage gestellt werden kann, geht die h.M. davon aus, dass hier das Verhalten des Täters keine Aufgabe darstellt, so dass vom Rücktritt keine Rede gemacht werden kann.

Zaczyk, NK § 24 Rdn. 53, Roxin AT II § 30 Rdn. 38 ff., Rudolphi JZ 1991, 525, ders. SK § 24 Rdn. 14b, Köhler, AT 479, Lackner-Kühl § 24 Rdn. 12, Kampermann, Grundkonstellationen beim Rücktritt vom Versuch, 1992, 217. 

M.E. handelt es sich auch hier um Fälle des fehgeschlagenen Versuchs, da ab einem bestimmten Zeitpunkt die Vollendung der Straftat für den Täter unbrauchbar wird und infolgedessen die weitere Ausführung der Tat sinnlos wird. Deswegen betonen auch viele Autoren die strukturelle Ähnlichkeit dieses Falles mit dem fehlgeschlagenen Versuch. In jedem Fall, jedoch, kommt man hier zum selben Ergebnis, nämlich zum Rücktrittsauschluss.

6. Ergebnis

Aus dem Gesagten folgt, dass folgende Gruppen dem Problemkreis der Freiwilligkeit nicht gehören:

a) Fälle des fehlgeschlagenen Versuchs

Die Aufgabe der weiteren Ausführung der Tat durch den Täter, der davon überzeugt wurde, dass das Opfer an AIDS leidet, oder dass es sich in Menstruationsphase befindet, kann nicht als Freiwilligkeitsfrage behandelt werden, da es sich schon um einen fehlgeschlagenen Versuch handelt. Dasselbe gilt auch für den versuchten Vergewaltigung im Falle des langhaarigen Mannes der von hinten überfallen wurde. In diesen und ähnlichen Fällen ist die weitere Fortführung der Tathandlung nunmehr für den Täter völlig sinnlos geworden. Von einem solchen Versuch kann der Täter nicht mehr zurücktreten.

Vgl. Zaczyk, NK § 24 Rdn. 74.

Dasselbe gilt auch für Fälle, wo der Täter sein Ziel erreicht und nunmehr keine Interesse an der Tatausführung hat. 

b) Fälle die keine Aufgabe darstellen

Der Begriff der Tataufgabe ist nichtsdestoweniger auch unter anderen Gesichtspunkten erklärungsbedürftig. Die Aufgabe, die auch in einem positiven Tun bestehen kann

Maurach-Gössel, AT § 41 Rdn. 59. 

muss bekanntlich endgültig sein. Der vorläufige Aufschub der verbrecherischen Tätigkeit, ohne dazwischentretende Befriedigung des angegriffenen Rechtsguts gründet keine Aufgabe, da der Täter sich vorbehält, seine Handlung in unmittelbarem zeitlichem und örtlichem Zusammenhang wiederaufzunehmen.

Herzberg, H. Kaufmann-GS 709, Kühl, op.cit. § 16 Rdn. 42, Wessels-Beulke, AT, Rdn. 641, Maurach-Gössel, AT Bd. 2 § 41 Rdn. 54.

Das Problem ist: wann kann man von einer Befriedigung des Rechtsfriedens erst sprechen? Sicher ist, dass dazu keine Entscheidung des Täters erforderlich ist, seinen Versuch nie in der Zukunft zu wiederholen. Ein Tataufschub um die Straftat in absehbarer, nicht festgelegter, Zeit, unter besseren Bedingungen zu begehen, schließt die Wiederherstellung des Rechtsfriedens nicht aus. Diese Feststellung ist zwar im Prinzip richtig, in praxi bleibt aber noch dunkel. Ist z.B. das Verlassen des Versuchs endgültig, wenn sich der Täter dem Vorschlag des Opfers nachgibt, am nächsten Tag mit deren Einwilligung geschlechtlichen Verkehr zu haben? Oder wenn der Räuber die Bitte des Eigentümers akzeptiert, das wertvolle Gemälde am nächsten Tag zu nehmen, damit zuerst Bildaufnahmen von diesem gemacht werden könnten?

Das Problem besteht deshalb, weil hier der Aufschub (bzw. der Vorschlag des Opfers) als Erfolg des verbrecherischen Verhaltens zu betrachten ist und nicht als Produkt der freien Wahl des Opfers. 

Vgl. Bitzilekis, Poinika Chronika 2005, 682, Vathiotis, Poinika Chronika 1999, 217.

Er ist m.a.W. Verwirklichung einer Gefahr die der Täter mit seinem Verhalten gesetzt hat. Im Falle des Vergewaltigungs- oder des Raubversuchs hat die vom Täter geübte Gewalt ihren Zweck erreicht: sie hat eine noch mehr umständliche Bedingung zur Vollendung der Straftat geschafft. In solchen Fällen könnte man also schwerlich von Aufgabe sprechen.

c) Fälle die keine endgültige Aufgabe darstellen

Es gibt ferner Fälle, wo die Unterscheidung zwischen Aufgabe und einfachem Aufschub problemlos ist. Wenn der Einbrecher, z.B., seine Tätigkeit vorübergehend verlässt, um einige Stunden später, unter günstigeren Bedingungen (bei Nacht oder mit besseren Werkzeugen), zurückzukehren, und sie wiederaufzunehmen, gibt seinen Versuch nicht auf, sondern seine Tätigkeit schlicht ausschiebt.

Schwierigkeiten entstehen, jedoch, in Fällen wo der Täter die weitere Ausführung der Tat zwar endgültig aufgibt, nicht aber um in die Rechtstreue zurückzukehren, sondern nur deswegen, um einen anderen deliktischen Zweck, der ihm wichtiger ist, zu verfolgen, d.h. um eine andere Straftat zu begehen.

Beispiele: Der Täter hört auf, die Verletzte zu erwürgen, um sie zu vergewaltigen, der Räuber auf der Straße verlässt sein Opfer um einen anderen Passanten zu überfallen, der ihm reicher scheint. Der eifersüchtige Ehemann verlässt den Versuch, die untreue Ehegattin zu töten, um den eben erschienenen Liebhaber totzuschlagen usw.

S. Die Beispiele in Vathiotis, Poin. Chron. 1999, 213, Jakobs, AT 25/41, Ulsenheimer 341.

Hier gibt es zwar eine Aufgabe, die darüber hinaus auch endgültig ist, es fehlt aber an das wichtige Kennzeichen des Rücktritts, das den Gesetzgeber zur Anerkennung des Privilegs geführt hat, nämlich die Rückkehr in die Rechtstreue. Hier kann man also nach Freiwilligkeit fragen.

III. Die Wiederherstellung des Systemvertrauens als theoretische Grundlage des Rücktrittsprivilegs

Hauptthese: Umkehr des Kriteriums vom Verbrechenvernunft. Der Vernunft des rechtstreuen Bürgers als Freiwilligkeitskriterium beim Rücktritt vom Versuch.

Angesichts obiger Schwierigkeiten und Auswegslosigkeiten als einziges objektive Kriterium um gültig zu überprüfen, ob im Falle eines Rücktritts, d.h. einer Aufgabe der weiteren Ausführung des Versuchs, eine Strafe überhaupt verhängt werden darf oder nicht, und unter welchen Bedingungen, ist der Grund der staatlichen Strafe selbst. Denn ist mit der Aufgabe der weiteren Tatausführung der Grund der Strafe nicht mehr gegeben, so ist ebenso wenig der Strafgrund des Versuchs gegeben.

Vgl. Kostaras, Der Untaugliche Versuch, 1997, 236 (auf Griechisch), nach dem der Strafgrund des Versuchs und der Grund des Rücktrittsprivilegs auf einheitlicher Wertungsbasis gestellt werden sollten.

Gehen wir davon aus, dass der einzige Grund, weswegen der Staat eine Strafe verhängen darf ist die General- und Spezialprävention im Rahmen der gerechten Vergeltung, und dass die Generalprävention nur dann einen Sinn in unser Rechtssystem bekommt, wenn sie als positive Generalprävention konzipiert wird, so ist ersichtlich, dass Grund der staatlichen Strafe nur die Bestätigung der Geltung der Strafnormen sein könnte. Die Strafe trägt zur Etablierung des sozialen Friedens nur dadurch bei, dass sie die Bürger vergewissert, dass die Norm die übertreten wurde nichtsdestoweniger ein gültiges Verhaltensbeispiel bleibt und dass sie nicht benachteiligt werden wenn sie sich rechtsmäßig verhalten. Dadurch wird das Systemvertrauen verfestigt und die Normgeltung weiter anerkannt. 

Da also die Bestätigung und Festigung des Systemvertrauens den Grund und die Grenze des staatlichen Strafens darstellt, so fragt es sich: gibt es einen Grund, von diesem Ausgangspunkt auszuweichen und den Versuch auch dann zu bestrafen, wenn das Systemvertrauen durch den Rücktritt des Täters wieder geltend gemacht wurde? Mit anderen Worten: kann der Versuch unabhängig davon strafbar sein, ob das Systemvertrauen wiederhergestellt wurde oder nicht? Diese Frage wird unter w´zwei Aspekten gestellt:

a) Kann Strafe zulässig sein, obwohl der Täter durch seine Rücktrittshandlung, das Systemvertrauen sowie das Vertrauen der Bürger auf die Geltung der Rechtsordnung wiederhergestellt hat?

b) Kann das Rücktrittsprivileg erkannt werden, obwohl der Täter dieses Systemvertrauen nicht wiederhergestellt hat?

Auf dieses Kriterium stellt gewissermaßen auch die Theorie der Ausbalancierung des verbrecherischen Eindrucks ab, sowie deren verschiedenen Verbesserungen, wonach der Rücktritt dann freiwillig ist, wenn der positive Eindruck den der Täter durch seinen Rücktritt hervorruft, das durch den Versuch erschütterte Sicherheitsgefühl der Gesamtheit und den dadurch hervorgerufenen verbrecherischen Eindruck wiederherstelle.

Vgl. Schünemann, Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft nach der Strafrechtsreformim Spiegel des Leipziger Kommentars, GA 1986, 324, Charalambakis, Yperaspisi 1991, 526 (auf Griechisch), mittelbar auch Bitzilekis, Poin.Chron. 2005, 677 (auf Griechisch).

Zu Recht wird es jedoch betont, dass in diesem Fall die kompensierende Größe nicht etwa in der Herstellung eines neuen, positiven Eindrucks zu ersuchen sei, sondern in der Schöpfung eines objektiven Zustands, der den durch die Erschütterung des jeweiligen Rechtsgutes entstandenen entwerte/anulliere.

Kostaras, op. cit. 237.

Unter diesem Blickwinkel dürfen wir dem zurücktretenden Täter nichts mehr zumuten, als wir von irgendeinem rechtstreuen Bürger verlangen dürfen. Kehrt er durch seine Aufgabe seiner Tätigkeit zur Rechtstreu wieder zurück, aus denselben Gründen und unter derselben Bedingungen, unter denen der rechtstreue Bürger straffrei bleibt, so wird das Systemvertrauen wiederhergestellt und die Norm, die durch den Versuch übertreten wurde, bleibt ein gültiges Beispiel von gesolltem Verhalten. In diesem Fall ist der Rücktritt freiwillig. Kehrt hingegen der Täter zum rechtstreuen Verhalten nicht unter denselben Bedingungen und aus denselben Gründen, unter denen der strafrechtlich neutrale Bürger straffrei bleibt, so braucht die übertretene Norm die Strafe, um gültiges Verhaltensbeispiel zu bleiben bzw. wieder zu werden. Das erste ist der Fall immer wenn der Täter zur Rechtstreu unter denselben Bedingungen zurückkehrt, unter denen die Rechtsordnung jeden Bürger als rechtstreu betrachtet, d.h. unabhängig dessen, ob er von der weiteren Tatausführung deswegen Abstand nimmt, weil er Angst vor der Strafe hat, oder weil er sich schämt, sich bereut hat, sich zu hohen moralischen Prinzipien bekennt u.s.w. Zur Wiederherstellung des Systemvertrauens genügen nämlich auch moralisch neutrale Handlungen, vorausgesetzt dass sie die durch den Versuch verursachte Erschütterung der Normgeltung nicht bestätigt wird. Zur Strafbefreiung ist infolgedessen kein moralische Wende des Täters oder eine hohe moralische Qualität seiner Motive erforderlich, eben weil diese moralische Haltung auch nicht von der Rechtsordnung zur Nicht-Strafbarkeit des äußerlich rechtstreuen Bürgers verlangt wird. Mit anderen Worten: da der Staat nicht legitimiert ist, die moralische Besserung der Bürger durch die Strafbedrohung zu erzielen, ebenso wenig ist er legitimiert zu verlangen, dass die Wiederherstellung des Systemvertrauens, d.h. des Vertrauens der Bürger auf die Geltung und Autorität der Rechtsordnung auf moralisch billigenswerte Motive zurückzuführen ist.

Ist aber dieses äußerlich rechtstreue Verhalten nicht unter diesen Bedingungen erreicht, so ist es nicht freiwillig. Der Täter, der seine Tätigkeit aufgibt, weil er durch eine unwiderstehliche Macht dazu gezwungen wird, oder weil er eine andere Straftat begehen will, handelt nicht schon äußerlich, wie jeder rechtstreue Bürger, sondern bewegt sich im Raum des Verbrechens. 

a) Vom Versuchstäter, der das Weiterhandeln zur Vollendung seiner Straftat verlässt, darf die Rechtsordnung nichts mehr zur Wiederbestätigung der verletzten Normgeltung verlangen, als vom irgendwelchen rechtstreuen Bürger, der diese Normgeltung anerkennt, eben weil nichts mehr erforderlich ist. Der Täter, der unter diesen Bedingungen die weitere Tatausführung aufgibt annulliert durch sein Verhalten, die eingetretene Erschütterung der Normgeltung und zeigt mit Klarheit, dass das Vertrauen der Bürger auf diese Normgeltung weiter besteht und zwar dass die Norm muss anerkannt werden. Durch seinen Rücktritt hört er auf, die Normgeltung zu bezweifeln und ein negatives Beispiel von Aufhebung des Systemvertrauens zu geben.

IV. Freiwilliger und nicht freiwilliger Rücktritt von unbeendetem Versuch

1. Fälle von Wiederherstellung des Systemvertrauens

Im Lichte der obigen Ausführungen ist der Rücktritt freiwillig wenn der Täter die weitere Tatausführung aus Aberglaube aufgibt 

Zaczyck, NK § 24 Rdn. 73.

aus Scham, Mitleid, Mitgefühl, Reue, Gewissensbisse, tief greifende Gewissenshemmungen, Drohung der Ehegattin Selbstmord zu begehen.

2. Fälle von Nicht-Wiederherstellung des Systemvertrauens

Gibt jedoch der Täter die weitere Tatausführung nicht aus den selben Gründen auf, weswegen der rechtstreue Bürger strafrechtlich indifferent bleibt, d.h. aus externen Umständen, so ist sein Rücktritt unfreiwillig. Dies ist klar z.B. wenn das Opfer dem Räuber Widerstand leistet, den Betrüger nicht glaubt, weil Dritte ihm die Wahrheit enthüllen, wenn dem Dieb wegen eines plötzlichen allergischen Schocks unmöglich ist, seine Tat weiter auszuführen. Aber auch in anderen, nicht vom ersten Blick unzweifelhaften Fällen ist der Rücktritt unfreiwillig. 

Beispiele: Das Opfer gibt dem Erpresser das Geld mit verzweifelnder Verspätung, was den letzteren in äußere Nervosität versetzt und zum Verlassen des Tatorts zwingt.

BGH MDR 1986, 271.

Das Opfer erkennt den Täter an was die Festnahmewahrscheinlichkeit drastisch erhöht.

Jakobs 26/43.

Der Täter verlässt das Opfer um eine andere, ihm wichtigere Straftat zu begehen.

Keine einheitliche Lösung ist jedoch in Fällen möglich, wo der Täter wegen einer später erschienenen Gefahr zurücktritt. Wenn z.B. der Sohn, der den Vater zu töten versucht, von seiner Handlung Abstand nimmt, weil seine Mutter droht, sonst Selbstmord zu begehen, so ist diese Wende des Täters mit der Normgeltung durchaus kompatibel. Denn die Autorität der Rechtsordnung und die Geltung der Norm kümmern sich nicht um die Motive des Täters. Denn jeder Bürger, der einen Totschlag begehen wünscht, aber davon abgehalten wird, weil ein Dritter mit Selbstmord bedroht hat, wenn er darauf bestünde, bewegt sich noch im Raum der Straffreiheit und besteht keine Legitimation des Staates, ihn wegen seiner Gesinnung zu bestrafen. In diesem Fall sind die Autorität der Rechtsordnung bzw. das Vertrauen der Bürger auf die Geltung der Strafnorm nicht in Frage gestellt. 

Gibt hingegen der Täter die weitere Ausführung auf, weil er in Todesgefahr geraten ist, z.B. weil plötzlich und unerwartet ein bissiger Hund erscheint, ein automatisches Gewehr gegen ihn schießt, oder weil er einen lebensgefährlichen Sprung von einem Dach übernehmen muss, um seine Tat zu vollenden, so ist der Rücktritt unfreiwillig. Dasselbe gilt wenn er aus Furcht vor Entdeckung bzw. Festnahme zurücktritt. Denn in diesem Fall tritt er zurück aus einem Grund, der den rechtstreuen Bürger nicht betrifft, sondern nur den sich außerhalb des sozial annehmbaren Rahmens Bewegenden, d.h. denjenigen, der die Geltung der Rechtsordnung weiter bezweifelt und zur Erschütterung des Systemvertrauens motiviert. Diese Bezweiflung des Systemvertrauens kann nur mit Zwangsmitteln annulliert bzw. wiederhergestellt werden, wie die bevorstehende Festnahme.